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Botschaften aus Babel: Ina Pfitzner (ipf)

Kleist übersetzt Molière – jedenfalls so ungefähr

Amphitryon radikal

Heinrich von Kleist (1777-1811) war der Preuße unter den Dichtern: Theater- und Prosaautor, Journalist, Offizier. Für seinen Amphitryon übersetzte er Molière – jedenfalls so ungefähr.

Es ist die antike Legende von Jupiter, der die Alkmene in der Gestalt ihres Gatten Amphitryon verführt und diesem schließlich das eigene Haus verwehrt. Über die Jahrhunderte gab man das als Verwechslungskomödie mit gehörntem Ehemann, so auch bei Molière (1668), der die Vorlage von Plautus in eine bissige Satire auf den Hof Ludwig des XIV. umarbeitete.

Knapp 140 Jahre später machte sich Heinrich von Kleist an die Übersetzung. Nun ist ja eine Übersetzung immer eine Neufassung in einer anderen Sprache, doch hier entstand „ein Lustspiel nach Molière“.  So wie er nämlich in seinem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ beschreibt, dass Ideen im Gespräch Kontur und Substanz annehmen, so ging es ihm wohl auch bei der Übersetzung des Amphitryon – denn aus Molières gesellschaftskritischer Komödie wird bei Kleist eine existentialistische Studie über das Sein und die Liebe. Sozusagen die Verfertigung eines eigenen Stücks beim Übersetzen.

Dabei übersetzt Kleist zum Teil wortgetreu mit französischem Satzbau, testet und erweitert die eigene Sprache (Götterbote Merkur zu Diener Sosias: „Du sagst von diesem Hause dich“ oder Jupiter: „Zeus hat in deinem Hause sich gefallen“). Zugleich schreibt er den Text völlig um, lässt barocken Klamauk weg, fügt Szenen des Nachdenkens ein, die das Tempo verlangsamen und das Stück philosophischer machen.

Aus der Üppigkeit des Versailler Hofes verlegt er die Handlung in die karge märkische Heide, wo Sosias über „Kienwurzeln“ stolpert und „Meerrettich“ und „gebratne Wurst mit Kohlköpf“ isst (oder auch nicht). Dass sich Sosias „entsosiatisiert“ fühlt, heißt bei Molière ganz ähnlich, aber dass bei „entamphitryonisiert“ – ganz im Geiste der französischen Revolution – ein „ent-inthronisiert“ mitschwingt, das steht so nur im Deutschen, bei Kleist.

Übersetzt wird auch in den Zeitgeist, in romantisches Ideengut und eine andere denkerische Tradition. Nicht Amphitryon, sondern Alkmene rückt bei Kleist in den Mittelpunkt: als treue, liebevoll verklärende und doch starke Gattin, die auf den Ruhm ihres Mannes nichts gibt, ihn lieber bei sich zu Hause hätte und sich als Mitbringsel von der Schlacht einen Strauß Veilchen wünscht statt eines Diadems. Während bei Molière am Ende die Herren unter sich verhandeln, hat bei Kleist Alkmene, der man am übelsten mitgespielt hat, buchstäblich das letzte Wort. Und zwar ein vieldeutiges, ganz deutsches, unübersetzbares „Ach!“

Im Französischen ist seit Molière ein amphitryon ein Gastgeber, wie er im Wörterbuche steht: „Der ist der wirkliche Amphitryon,/ Bei dem zu Mittag jetzt gegessen wird“ sagt Sosias. Im Deutschen ist uns nur der „Göttergatte“ aus der gleichnamigen Operette von Franz Lehár geblieben, einer Parodie auf Kleists Amphitryon. Das Kleistjahr 2011 erinnert an einen Dichter, dessen Leben und Werk so radikal waren wie sein Tod. Als Übersetzer zu radikal, doch genial im Modernisieren, Radikalisieren, Neu(ver)fassen. Was in der Arbeit mit Französischem noch hätte entstehen mögen... Ach!

Günther Blamberger: Heinrich von Kleist. S. Fischer, 688 Seiten, 24,95 Euro

Molière: Amphitryon. Reclam, 72 Seiten, 2,40 Euro

Heinrich von Kleist: Amphitryon. Reclam, 107 Seiten, 2,60 Euro

Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück. Regie: Reinhold Schünzel, Universum Film GmbH, 98 Minuten, 12,99 Euro

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