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Botschaften aus Babel: Ina Pfitzner (ipf) | Fotos: Ute Lawrenz

Auf 420 Seiten um die Welt

Übersetzen ist mehr als die Arbeit an der Sprache: Jedes Buch erschließt der Übersetzerin eine neue Welt. Bei John Freelys „Platon in Bagdad“ war es der ganze Kosmos.

Eigentlich bin ich Übersetzerin. Doch letztens war ich Astronomin, Astrologin, Mathematikerin, Physikerin, Theologin, Alchemistin, Medizinerin, Historikerin, Dichterin und mehr. Ich dachte mich in (auch überlebte) wissenschaftliche Theorien hinein, studierte Diagramme und Illustrationen. Vor allem aber habe ich recherchiert.

Denn Archimedes, Platon, Al-Kindi oder Dante kann ich nicht einfach übersetzen, sondern muss jeden Titel, jeden Namen, jeden Begriff, jedes Zitat nachschlagen, bei arabischen Werken oft umsonst. Manchmal schaute ich mehrmals nach, um zu entscheiden: Welche deutsche Fassung fügt sich am besten in meinen Text? Heißt die Figur bei Christopher Marlowe wirklich Mephistophilis statt Mephistopheles? Ist es auf Deutsch nun Astrolab oder Astrolabium, Prutenische oder Preußische Tafeln, Dom- oder Kathedralschule? Und weil die Übersetzerin alles überprüft, entdeckt sie auch Fehler, die dem Autor entgangen waren.

Mit Nachschlagewerken wie etwa dem 16-bändigen „Dictionary of Scientific Biography“ kann das Deutsche nicht mithalten, denn bei uns ist alles fein säuberlich nach Sparten unterteilt. Der Mathematiker Pappos als Alchemist? Gibt es auf Deutsch nicht. Weniger bekannte arabische Wissenschaftler und Mediziner des Mittelalters und danach? Nix. Englische, auf Latein schreibende Physiker der Renaissance? Nicht auf Deutsch. Doch dann der Lichtblick: Karoly Simonyis bildschöne, leider vergriffene „Kulturgeschichte der Physik“ mit anschaulichen Erklärungen und Zeichnungen und Zitaten aus den wichtigsten Werken der historischen Physik.

Dieses innere Aufleuchten, wenn man ein Werk durchforstet und das Gesuchte dann endlich findet! Bei der Suche nach einem Satz aus Ludwig Pastors „Geschichte der Päpste“ gab es das ganze Kapitel so nicht, immer wieder –  bis der detektivische Abgleich des Datums der englischen Übersetzung und der Auflagen des deutschen Originals schließlich auf die richtige Spur führte. Für den mehrere Tausend Seiten langen „Roman de la Rose“ analysierte mir eine Bibliothekarin in den USA die Zählung des Englischen, sodass ich die benötigten Zeilen im französischen Original und in der deutschen Ausgabe doch noch finden konnte. Edmund Spensers epische Dichtung „Die Feenkönigin“ von 1596 gibt es, außer in Auszügen, nicht in deutscher Übersetzung. Auch mithilfe einer amerikanischen Lyrikerin blieb manches unklar, bis man mir in den USA die Seiten aus der kommentierten Ausgabe scannte. Dann brauchte es viele Anläufe und Tüftelei und Muße, um das rechte Versmaß, die rechten Worte zu finden, am Ende jedoch nie genug.

Weil die Übersetzerin im Buch nicht Dank sagen kann, tue ich es an dieser Stelle: Dank an die Bibliothekare und Freunde, auch in den USA, die bei der Recherche geholfen haben, an die Text- und vor allem die Verlagslektorin (130 E-Mails!), an die Übersetzerkollegen und moralischen Unterstützer und diejenigen, die uns hilfreiche Bücher auf Deutsch schreiben. Und ein fassungsloses „Schönen Dank auch?!“ all denen, die dankend ablehnten (Sie wissen, wer Sie sind …).

John Freely: Platon in Bagdad. Wie das Wissen der Antike zurück nach Europa kam. Übersetzt von Ina Pfitzner, Klett-Cotta, 420 Seiten, 24,95 Euro

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