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Botschaften aus Babel: Ina Pfitzner (ipf)

Der „Pseudoübersetzer“ Boris Vian

Hansdampf im Kulturgetriebe

Boris Vian karikierte die Existentialisten und schrieb bewegende, witzige, surreale Romane. Seine Pseudoübersetzungen aber machten ihn zum Skandalautor seiner Zeit. Heute sind sie Kult.

Es war Frankreichs Skandalerfolg von 1947: „Ich werde auf eure Gräber spucken“, der zornige Thriller des Afroamerikaners Vernon Sullivan, der in den USA auf den Index gesetzt worden war, wegen des „etwas zu weitgehenden Realismus“ und weil es um Sex, Gewalt und die Rache eines Schwarzen an den Weißen geht. Jetzt aber erschien der Roman auf Französisch, übersetzt von Boris Vian. So stand es jedenfalls im Vorwort.

Im März 1947 fand man in einem Pariser Hotel die erdrosselte Leiche einer jungen Frau, neben ihr das Buch, aufgeschlagen an der Stelle, wo der Erzähler seine Geliebte auf die gleiche Weise tötet. Es hagelte Gerichtsklagen und das Buch wurde von 1949 bis 1953 verboten. Der Autor wurde zu einer Geldstrafe von 100.000 Francs verurteilt. Das war schlimm genug.

Doch der größere, der unverzeihliche Skandal war dieser: Boris Vian hatte das Buch gar nicht übersetzt. Er hatte es von vorn bis hinten selbst geschrieben, auf Französisch, nach dem Vorbild amerikanischer hard-boiled Krimis seiner Zeit. Er hatte sich hinter der Identität des Übersetzers versteckt und mit den Erwartungen der Kritiker und des Publikums gespielt. Das passte nun wirklich nicht zum Prinzip der Verantwortung, das die Existentialisten damals so nachdrücklich beschworen.

Die Verantwortung des Autors war Vian ganz offenbar schnuppe. Ähnlich wie er nicht der Übersetzer war, der er vorgab zu sein, war die Hauptfigur ein Schwarzer, den alle für einen Weißen hielten, und der sich das für seine perfide Rache zunutze machte. Im Vorwort heißt es, so gut gemeint wie anmaßend, das Buch stelle nicht die „guten Schwarzen“ dar, denen die Weißen auf die Schultern klopften, sondern solche, die genauso hart wie die Weißen seien. Boris Vian erschrieb sich sozusagen sein „Alter Negro“, denn auch er hatte noch eine Rechnung offen – mit dem französischen Literaturbetrieb.

Für sein zartes, surreales, groteskes Debüt „Der Schaum der Tage“ (1946) hatte er sich vergeblich Hoffnungen auf einen renommierten Literaturpreis gemacht. So entstand die Idee mit der Wette: Vian wettete mit seinem Verleger, dass er innerhalb von zehn Tagen einen „amerikanischen Bestseller” verfassen könnte. Und tat es prompt im August 1946. „Ich werde auf eure Gräber spucken“ war der Antiroman zum „Schaum der Tage“. Auf drastische Weise prangerte Vian Lynchmorde und Diskriminierung an und bediente die Lust des Lesers an Sex und Gewalt; die (angebliche) Zensur heizte das Interesse noch an. Voilà, da war er, der amerikanische Bestseller, das, was das Publikum wirklich lesen wollte (wenn auch die nachfolgenden drei „Sullivans“ weniger erfolgreich waren).

Die Entstehungsgeschichte ist letztendlich reizvoller als das (entsetzlich grausame) Buch selbst. Boris Vian hat bessere Romane, Lieder, Gedichte geschrieben und – übersetzt. Dafür, dass er sich immer wieder mit dem literarischen Establishment anlegte, strafte man ihn zu Lebzeiten mit Nichtachtung.  Heute wird er dafür geliebt. Ins Englische übersetzt wurde „Ich werde auf eure Gräber spucken“ 1948, und Vian war natürlich dabei.

Boris Vian, Drehwurm, Swing und das Plankton. Übersetzt von Eugen Helmlé. Süddeutsche Zeitung Bibliothek, 202 Seiten, 8,90 Euro

Boris Vian: Die Romane. Übersetzt von Eugen Helmlé, Antje Pehnt, Wolfgang S. Baur. Zweitausendeins, 1214 Seiten, 14,90 Euro

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