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Botschaft aus Babel

Ich sehe wen, den du nicht siehst

Übersetzer wollen wahrgenommen und für ihre Arbeit geschätzt werden. Aber oft wissen die Leser nicht einmal, dass sie eine Übersetzung lesen. Was tun? 

Ein Artikel aus BÜCHERmagazin 6/2014 von Ina Pfitzner

Am 30. September 2014, dem Hieronymustag, dem Internationalen Tag des Übersetzers, waren vielerorts wieder „Gläserne Übersetzer“ zugange, wie man sie von der Frankfurter Buchmesse kennt. Sie sitzen in der Öffentlichkeit am Computer und versuchen zu arbeiten wie sonst auch, nur dass die Zuschauer ihnen über die Schulter schauen können, was sie gerade tippen. Man könnte das entwürdigend finden, ausgestellt zu werden wie ein Exot, und sich dagegen verwehren, dass man gläsern (durchsichtig?) sei oder die Arbeit, die man tut, so einfach, wie sie dann aussieht. Warum nicht auch den gläsernen Lektor, den gläsernen Autor? Eigentlich ist doch Übersetzen eher eine Black Box, in der alles an Wissen, Erfahrungen, Erleben, aktueller Lektüre und persönlichen Prägungen zusammenkommt und das Buch irgendwie aus der einen in die andere Sprache bringt. 
Die Übersetzerin Patricia Klobusiczky, die sich am diesjährigen Hieronymustag für 90 Minuten gläsern machte und aus „Le Sel sur la plaie“ von Jean Prévost übersetzte, sieht darin eine Möglichkeit, „das interessierte Publikum mit unserer Tätigkeit vertraut zu machen – über die kaum jemand nachdenkt. Unsere Arbeit wird anschaulich. Das Publikum kann Fragen stellen, Kommentare und eigene Lösungsvorschläge abgeben – es finden Interaktion und Kommunikation statt. Ich halte das für eine sehr lebendige und sinnliche Ergänzung zu klassischen Lesungen und Podiumsdiskussionen.“ Organisiert werden diese Aktionen alljährlich von der „Weltlesebühne“; sie finden in den größeren deutschen Städten und in Goethe-Instituten auf der ganzen Welt statt. 
Es gibt noch andere nachhaltige Wege der Sichtbarkeit. Wenn man die Übersetzer zum Beispiel zu den Lesungen ihrer Autoren einladen würde und wenn sie aus „ihren“ Texten selbst vorlesen oder vielleicht sogar das Gespräch zu dem Buch, mit dem sie sich monatelang beschäftigt haben, moderieren könnten. Warum müssen es Schauspieler oder Journalisten sein? Bei weniger gängigen Sprachen wie Polnisch oder Ukrainisch sitzen die Übersetzer schon lange mit auf der Bühne. 
Sichtbarkeit würde auch heißen, dass die allmächtige Spiegel-Bestsellerliste die Übersetzer nennt, denn dann würde deutlich, wie viele deutschsprachige Bestseller es ohne Barbara Schnell, Rainer Schmidt, Kristian Lutze, Sophie Zeitz, Gregor Hens, Christine Strüh und all die anderen gar nicht gäbe! Wenn Rezensenten, die fröhlich aus unseren Büchern zitieren, erwähnen, dass es eine Übersetzung ist und von wem. Wenn sie lernen, dass es für Übersetzungen auch andere Kriterien als „kongenial“ gibt … Und nicht zuletzt, wenn alle Verlage ihre Übersetzer angeben.
Der kleine Dörlemann Verlag aus Zürich, der auf gute Übersetzungen von guten Büchern setzt, nennt die Übersetzerin auf dem Buchdeckel: „Deutsch von...“ heißt es dort. Genau diese Formel beschreibt unsere Arbeit am besten: Denn der Text erscheint letztendlich in unserem ureigenen, ganz persönlichen Deutsch (mit oft willkommenen Dazwischenfunkereien des Lektorats). Das ist die Chance, auch dem noch nicht interessierten Publikum verständlich zu machen, dass das, was es gern liest, oft Übersetzern zu verdanken ist. Und irgendwann, irgendwann vielleicht, könnte sich das in besserer Bezahlung und Erfolgsbeteiligung niederschlagen. Zunächst würde sich aber eine Frage erübrigen, die man dem deutschen Stewart O’Nan, Thomas Gunkel, manchmal stellt: „Schreiben Sie eigentlich auch?“
 
Ina Pfitzner arbeitet als Übersetzerin, sie hat längere Zeit in Louisiana gelebt und dort promoviert. Zuletzt übersetzte sie „Aristoteles in Oxford“ von John Freely (Klett-Cotta) ins Deutsche.
 

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