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Botschaften aus Babel: Ina Pfitzner (ipf)

Luther als Übersetzer

Luther auf's Maul geschaut

Er war Anschläger der 95 Thesen, streitbarer Theologe, rebellischer Mönch mit Ehefrau, donnernder Prediger und Schreiber – und ein begnadeter und sprachgewaltiger Übersetzer.

Wer es noch nicht weiß: Es ist Lutherdekade, und dieses Jahr im Herbst wird es 499 Jahre her sein, dass Martin Luther sich anschickte, die deutschen Lande zu reformieren. Nicht nur als Geistlicher und Religionsaktivist, sondern auch als „Gottesdolmetsch“, wie Wolf Biermann ihn nennt, als Übersetzer der Bibel ins Deutsche. Selten beeinflussen Übersetzer die Sprache und Kultur ihres Landes auf so nachhaltige und fundamentale Weise wie Luther; selten bewirken Übersetzungen so viel. Dabei ist Übersetzen gar nicht sein Beruf. Aber er hat ein einzigartiges Übersetzungs-, ein Lebensprojekt. Übersetzen ist für ihn Berufung und Mission.

Er übersetzt in die Volkssprache, und das ist hochpolitisch. Die direkte Zwiesprache mit dem Buch der Bücher will er ermöglichen, und letztendlich mit Gott selbst. Er kennt sein Original in- und auswendig, lebt damit, bevor er loslegt. Das Neue Testament übersetzt er in elf Wochen, das Alte in zwölf Jahren. Er lauscht dem Deutschen nach, nutzt die Vielfalt des Wortschatzes, ist offen für dialektale und regionale Schöpfungen seiner Sprache, bringt den Text mit variablem Satzbau und dichterischen Verfahren zum Klingen. Er „findet“ Wörter, kreiert Wortgefüge wie Feuereifer oder geistreich oder Winkelprediger und bildet neue Wörter wie Verdammnis. Vor allem „deutet er den Text in den Alltag der Menschen hinein“.

Dabei ist er nicht immer ganz genau, denn er verfolgt auch eine theologische Absicht, ergreift Partei, interpretiert, bezieht Stellung. Er bürstet den Text auf die frohe Botschaft hin, will das Evangelium verkündigen. Am Ende steht da etwas, was klar und verständlich ist. Das ist nicht unumstritten: „Wer am Wege baut, der hat viele Meister“, schreibt er. Doch schon nach kurzer Zeit ist seine Bibel ein eingebürgertes Werk der deutschen Sprache und Kultur geworden, das in fast jedem Haushalt steht.

In jedem Übersetzerhaushalt und vielen anderen stehen sollte auch der Sammelband „Denn wir haben Deutsch“, in dem Übersetzer/innen und Autoren/ innen Luthers Arbeit als Übersetzer nachspüren. Für Josef Winiger zum Beispiel ist seine Übersetzung des 1. Buchs Mose „ein schlichter, klarer Schöpfungsbericht von poetischer Kraft“, genauer als frühere Übersetzungen, weil aus dem Original und nicht aus der lateinischen Vulgata übersetzt. Statt wortwörtlich nachzubilden, erhebt er die Zielsprache Deutsch „zum eigentlichen Maßstab und Prüfstein der Übersetzungskunst“, will die Bibel „rein und klar teutsch geben“. Martina Kempter schreibt über die schwere Wahl zwischen verschiedenen Bibelvarianten bei Übersetzungen aus dem Italienischen, weil die volkssprachliche Bibel, anders als bei uns, im katholischen Italien einen schwach entwickelten „Sitz im Leben“ hat. Für Anne Birkenhauer lassen sich die im moder- nen Hebräisch mitschwingenden, religiösen Untertöne mit Luther gut abbilden, weil uns „der biblische Ton, den Luther im Deutschen geschaffen hat,“ vertraut ist, so sehr, dass die Übersetzerin manchmal, wenn das Luther-Zitat nicht passt, selbst „luthert“. Der Lyriker Jan Wagner schreibt von der paradoxen Situation, dass man, um einem Text treu zu bleiben, sich manchmal weit davon entfernen muss.

Was können wir irdischen Übersetzer/innen heute von Luther lernen? Luther hatte einen Stab von Beratern (für Hebräisch, für Griechisch) und konnte seinen Text weiter überarbeiten und in verbesserten Fassungen veröffentlichen. Anders als er übersetzen wir zum Broterwerb und mit Abgabefristen, müssen effizient kreativ sein und das nicht nur bei Lieblingstexten. Aber er zeigt uns, dass wir Verantwortung für unseren Text tragen, ihn genau wiedergeben und trotzdem frisch gestalten müssen. Vor allem da, wo Sprache nur Werkzeug ist, nicht Gestaltungsmittel, müssen wir frei sein wie Luther, wenn wir dem Deutschen und dem Original gerecht werden wollen. Wir müssen laut sein und poltrig, lyrisch und elfenhaft, sprachzart oder sprachgewaltig, wie es der Text verlangt.

Apropos: Ausgerechnet das Wort Sprachgewalt, mit dem er so oft bedacht wird, stammt nicht von Martin Luther.

MARIE LUISE KNOTT, THOMAS BROVOT, ULRICH BLUMENBACH (HG.): Denn wir haben Deutsch – Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung
Matthes & Seitz Berlin (2015)
334 Seiten, 24,90 Euro

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