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Verhinderte Bestseller: Stefan Volk (smv)

Spöttische Kulturkritik vor einer düsteren Zukunft

Erika und Klaus Mann: Das Buch von der Riviera

„Man möchte losfahren, wie es Erika und Klaus Mann taten“, schrieb 1931 ein Rezensent über „Das Buch von der Riviera“. Das gilt bis heute. Die pointierten, lustvollen, genießerischen, spöttischen Erinnerungen der beiden Manns hauchen der alten Riviera neues Leben ein.

Vielleicht war 1931, als es die Weimarer Republik unaufhaltsam in Stükke zerriss, nicht die beste Zeit für einen alternativen Reiseführer durch die Riviera. Sicher dachten viele, wenn sie sich nach Ende des 2. Weltkrieges überhaupt noch an „Das Buch von der Riviera“ der Geschwister Mann erinnerten, das ursprünglich in der Reihe „Was nicht im ‚Baedecker’ steht“ erschienen war, dass es mittlerweile hoffnungslos veraltet sei. Und zweifellos hat ein Reisebericht mit Übernachtungs- und Ausgehtipps literarisch einen schweren Stand. Dennoch bleibt es verwunderlich, dass „Das Buch von der Riviera“ bis heute nur als Geheimtipp gilt. Schließlich ist das mit liebevollen Skizzen von Walther Becker, Rudolf Großmann oder Henri Matisse illustrierte Werk viel mehr als nur ein Reisebuch. Nämlich ein fein nuanciertes, sorgfältig beobachtetes literarisches Zeitgemälde: humorvoll, ironisch, scharfsinnig und hellsichtig.

Die Reise von Erika und Klaus Mann beginnt in Marseille, führt über Toulon, Cannes, Nizza und Monte Carlo schließlich nach Italien. Unterwegs beschreiben die Geschwister ihre Eindrücke von Städten und Landschaften, Menschen und Kultur. Dabei spannen sie einen illustren Bogen, der von detaillierten Schilderungen ausgesuchter Lokalitäten über kleine Anekdoten bis hin zu allgemeinen Einschätzungen kultureller Phänomene reicht. „Man bummelt so herum“, schreibt Erika Mann über Marseille, „geht zum Friseur und in die Läden. Avis für die Damen: in Südfrankreich, speziell in Marseille, wenn irgend möglich, nicht zum Friseur gehen. Alles sieht soweit recht proper aus – feine Gerätschaften, nette Menschen. Aber es geht zu, wie wenn Buster Keaton etwas unternimmt, Kaffee kocht, Holz spaltet. Mit sachlicher Miene verdirbt man uns, meine Damen, die Frisuren – schneidet alles kurz und klein, macht Locken, wo wir keine mögen, tut uns Seife ins Haar, ohne sie wieder zu entfernen, gibt uns fettes Haarwasser, da wir trockenes lieben – ich weiß selber nicht, wieso, aber es ist kein Staat zu machen mit den Friseuren in Südfrankreich.“

Scheinbar banale Alltagsbeobachtungen, spöttische Randbemerkungen und kulturkritische Kommentare verbinden sich zu einem wunderbar vielschichtigen Kaleidoskop, das den wogenden Rhythmus des Reisens zwischen oberflächlichen Irritationen und tiefem Erstaunen, Abenteuer und Erholung auf schillernde Weise einfängt. Nicht nur zum Friseur gingen die Manns in Marseille, sondern auch in „Negerlokale“. Eines davon, das „in einer der schmutzig überschwemmten Seitengassen“ lag, liebten sie am meisten. „Nicht ganz zu unserer Freude fanden wir diesen Winter die geliebte Kneipe plötzlich im Besitz einer mitteldeutschen Familie, die in ihrer großen Unternehmungslust das florierende Etablissement aufgekauft hatte. Neger wiegten traulich ein sächsisch lallendes Kind und zeigten dem Wurm ihre schönen Zähne“ (und für Zähne, man kennt das von den „Buddenbrooks“, haben die Manns ein besonderes Faible); „eine blonde Hausmutter verlangte gereizt nach ihrem Strickstrumpf, den sie verlegt hatte, und ein Kellner Fritz aus Berlin lief mit den Getränken herum. Die tüchtigen deutschen Menschen verrieten uns, dass sie die Neger wegzudrängen gedächten, um das Lokal in eine Herberge für Landsleute zu verwandeln; dann wird es nicht mehr so lustig dort zugehen (…).“

Einen ebenso düsteren wie weitsichtigen Blick in die Zukunft werfen Erika und Klaus Mann auch, als sie auf dem Weg von Marseille in Richtung Italien die vielen kleinen, verwunschenen Küstenorte durchqueren: „Die Konturen dieser Landschaft werden auf den Bildern von Derain und vieler anderer von der Nachwelt geliebt werden, wenn hier alles von großen Hotels zugebaut sein wird.“ Auch die beiden Manns haben vorgesorgt und der alten Riviera mit ihrem Reisebuch gerade noch rechtzeitig ein ewig junges, liebevolles Denkmal gesetzt.

Erika und Klaus Mann: Das Buch von der Riviera. Rowohlt, 192 Seiten, 7,90 Euro

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