Jump to Navigation

Julia Franck

Ella, die missbraucht und vergewaltigt wird, verarbeitet die Dinge körperlich, sie reagiert mit Magersucht und Krankheit. Thomas verarbeitet sein Mitwissen seelisch.

Genau. Und dagegen hat er kein Heilmittel. Die Angst vor dem Leben in diesen Kompromissen, an denen er selbst Schuld sein würde, findet sich auch in dem einen Gedicht, das ich relativ spät zitiere, diese Fantasie, aus dem Grab aufzusteigen und auf Leichen, auf Kinder zu treten. Das ist natürlich sehr pathetisch, aber es geht direkt auf den Schmerz zu, den er empfindet.

Sie verwenden Originalgedichte Ihres Onkels, dessen tragische Geschichte Sie in der Figur des Thomas verarbeiten. Wenn man so etwas tut, fragt man dann vorher in der Familie um Erlaubnis?

Natürlich schafft jeder Schriftsteller Charaktere, die so nicht wirklich gelebt haben. Und zu Beginn habe ich noch nicht gewusst, ob ich die Gedichte verwende.

Waren die Gedichte denn Allgemeingut in der Familie, das alle lesen konnten?

Nicht wirklich. Meine Großmutter hatte welche, meine Mutter, vielleicht meine Tante, aber der größte Teil fand sich beim besten Freund meines Onkels. Trotzdem kannte ich sie schon immer, weil meine Mutter Kopien hatte. Sie gab sie mir zu lesen, als ich eine Jugendliche war, weil sie wohl vermutete, dass auch ich mich in einer für mich sehr ausweglosen Situation befand. Damals konnte ich eher wenig damit anfangen. Mich hat befremdet, dass sie in der Suche nach Form so beharrlich waren. Sie reimten sich ja sogar. Und jetzt liegt gerade darin etwas, das mich fasziniert. Aber ich will Ihrer Frage gar nicht ausweichen. Nach einer Weile merkte ich, ich kann schlecht ohne die Gedichte arbeiten, weil ich es anmaßend gefunden hätte, etwas Ähnliches zu erfinden. Den Umgang mit den Originalen fand ich am aufrechtesten. Vor zwei, drei Jahren habe ich dann, sehr zögerlich, weil ich nicht wusste, wie meine Mutter und dieser Freund der Familie reagieren würden, mit diesen beiden Menschen darüber gesprochen. Sie haben dem Wunsch, die Gedichte zu verwenden, entsprochen. Natürlich ist das schwierig, weil beide an der Entstehung des Romans nicht beteiligt waren und keine Verantwortung dafür tragen können. Die Gefahr ist ja, dass hinterher einer sagt, nun ist es so ein schlechter Roman geworden; schrecklich, dass auch noch die Gedichte darin sind.

Themenwelten

Senioren, Greise, Silver Surfer

Senioren, Greise, Silver Surfer

Alte Menschen in der Literatur

Vom Eise befreit

Vom Eise befreit

Frühlingsliteratur

Über das Denken

Philosophie für Kinder

Von Geburt an Philosophen

Wer sind die anderen?

Afrika

Der so genannte dunkle Kontinent

Familiengeschichten

Vater, Mutter, Kind, Krieg

Familiengeschichten

Wirtschaftskrisenwerke

Wirtschaftskrisenwerke

Über Gier und Risiko