Jump to Navigation
Interview: Christian Bärmann (bär) | Fotos: Christian Bärmann

Nicholson Baker

Ich liebe alles rund um Sex

Am Nikolaustag einen Autor zu treffen, der mit seinem freundlichen Gesicht und weißen Bart wie der Nikolaus aussieht und an der Tür auch noch „Hi, I’m Nick!“ sagt,
ist nicht zu toppen? Von wegen. Denn Nicholson „Nick“ Baker hat gerade einen neuen pornografischen Roman veröffentlicht. BÜCHER hat ihn in Maine besucht.

Mr. Baker, beim Lesen von „Haus der Löcher“ dürften viele Leser nicht wissen, ob sie erregt oder belustigt sein sollen …

Ich hatte das gleiche Problem beim Schreiben. Manchmal musste ich lachen, mal war ich auf erregende Weise ernst. Es ist eine seltsame Erfahrung, so ein Buch zu
schreiben, weil beide Gegensätze miteinander konkurrieren. Ich möchte, dass es von Zeit zu Zeit erregt. Da mir das allein aber zu wenig ist, biete ich auch andere Dinge – und es war für mich ein Teil des Vergnügens, in dem Buch zwei Elemente zu vereinen, die eigentlich nicht zusammenpassen.

Die Macht des Autors?

(schmunzelt) Ja, und ich liebe diese totale Kontrolle. Wenn ich Artikel für Magazine verfasse, fühle ich mich manchmal machtlos, weil ich von Fakten gejagt werde und alles seine Richtigkeit haben muss. Es ist sehr befreiend, einfach zu schreiben und sich Sachen auszudenken.

Sie haben sich für „Haus der Löcher“ vieles ausgedacht, über das einige Menschen den Kopf schütteln dürften …

Ich finde es sehr interessant, wie Sex die Meinung zu einem Buch beeinflusst. Jeder Autor, der versucht, in einem Buch sexuelle Erregung unterzubringen, rutscht in der Kritikerskala sofort ein paar Punkte nach unten. Mir ist das egal – zumal ich ohnehin nicht verstehe, was ein gutes Buch ausmacht. Ich weiß nicht, warum einige Bücher zur großen Literatur gehören und andere nicht. Für mich macht das keinen Unterschied. Ich habe tolle und fürchterliche Rezensionen bekommen, und möchte nur genau die Bücher schreiben, die mir Spaß machen und hoffentlich einige Menschen unterhalten.

Welchem Genre ordnen Sie „Haus der Löcher“ zu?

Literarische Pornografie, gerne auch ohne das „Literarische“. Ich wollte mit dem Buch geradeheraus und ehrlich sein – und sehr schräg. „Anzüglich“ beschreibt es wohl am besten, und ich hoffe, dass es für Frauen und Männer gleichermaßen interessant ist. Bislang scheint es Frauen übrigens besser zu fallen – vermutlich, weil sie lieber lesen. Ich glaube ohnehin, dass Männer nicht gerne lesen, das trifft zumindest auf mich zu.

Wie hat es denn Ihrer Frau gefallen?

Sie mag das Buch. Sie kennt mich sehr gut und weiß, dass ich bizarre Gedanken habe.

Wie schwer ist es, ein Buch zu schreiben, das sich ausschließlich um Sex dreht?

Die größte Frage für mich war es, herauszufinden, ob in der Welt von Internetpornografie und Sexfilmen überhaupt noch Platz für Worte zu dem Thema ist. Ich empfand es als Herausforderung, ein Buch zu schreiben, das etwas bewirken kann, was Filmen mit nackten Menschen nicht gelingt. Es kann naturgemäß nicht die sofortige Intensität haben, weil ein Sexfilm vor allem für Männer eine ganz andere Visualität hat als Wörter auf einer Buchseite. Ich wollte mich aber dem Wettbewerb stellen und dabei das eigentlich Unmögliche versuchen.

Viele Sexszenen in Romanen unterstützen selten den Plot oder sind schlicht peinlich – welche Funktionen erfüllen die Szenen in Ihrem Buch?

Da sich dieses Buch ausschließlich um Sex dreht, soll es Teile der verzweifelten, aufregenden und verrückten Intensität des sexuellen Verlangens beschreiben. Im Grunde leben wir doch alle unsere Leben und sind höflich zueinander. Aber manchmal hegen wir diese abgefahrenen Gedanken aus einer ganz anderen Welt. Ich wollte mich in eine Welt begeben, in der sich alles um etwas Surrealistisches dreht und man schnell von einem Gedanken zum nächsten springen kann. Wie ist diese Welt und wie fühlt sie sich an? „Erfreuen und anleiten“, hat schon Aristoteles gesagt. Ich bin nicht sicher, wie viel Anleitung in meinem Buch steckt, aber ich wollte auf jeden Fall erfreuen.

Erfreuen Sie Sexszenen in Filmen?

In einem normalen Film sind Sexszenen meistens nur peinlich und für die Schauspieler vermutlich harte Arbeit, weil sie sich ständig über die Ausleuchtung Gedanken machen müssen. Deswegen finde ich auch, dass im Fernsehen nicht haufenweise Sex auftauchen sollte. Eine Sexszene kann eine komische oder spannende Sendung kaputtmachen, vor allem wenn die Schauspieler Klischees folgen und sich die Kleidung vom Leib reißen oder bestimmte Posen einnehmen. Es ist eben immer nur gestellt. Daraus ergibt sich die Daseinsberechtigung der Pornografie: Sie steckt zwar voll schwacher Emotionen und überzogenem Stöhnen, aber auch der nackten Realität, dass die Schauspieler tatsächlich miteinander Sex haben. Unterm Strich sollte in unserer Kultur nicht ständig so viel Sex vorkommen, wir sind „oversexed“.

Und das von einem Autor, der gerade einen pornografischen Roman geschrieben hat?

Ja, das macht eigentlich keinen Sinn, oder? (überlegt) Nun, wenn man bedenkt, wie kraftvoll das menschliche sexuelle Verlangen ist, spielt das Thema in meinem bisherigen Werk nur eine ganz kleine Rolle. Aber wenn man schon ein Buch über Sex schreibt, sollte man sich dem Thema auch komplett verschreiben, es sollte ein richtig schmutziges Buch sein. Es gefällt mir jedoch einfach nicht, wenn Sex wie Brotkrumen über die gesamte Kasserolle der Kultur gestreut wird. Ein Roman sollte entweder ein sexueller Schmaus sein oder gar nicht durch Sex gestört werden.

Aber ist nicht schon alles über Sex geschrieben worden?

Nachdem ich „Fermata“ und „Vox“ geschrieben hatte, hatte ich auch diesen Eindruck. Mir war, als hätte ich damit das Füllhorn mit neuen Dingen, die es über Sex zu sagen gibt, geleert. Aber habe ich deswegen aufgehört, an Sex zu denken? Nein. Denn ich liebe alles rund um Sex. Und auf einmal hatte ich das Gefühl, es gebe noch so viel mehr zu erzählen.

Angesichts Ihrer überbordenden Fantasie kamen mir beim Lesen übrigens oft die animierten Sequenzen der Monthy-Python-Filme in den Kopf …

(lacht) Das gefällt mir, und ist sehr schmeichelhaft. Aber ich glaube, dass dieser Roman nicht verfilmt werden kann, da meiner Meinung nach Nacktheit und Humor im Film nicht nebeneinander existieren können, ganz egal, wie gut das Skript ist. Aber in einem Buch funktionieren Humor und Erregung durchaus, das hoffe ich zumindest.

Der Klappentext der deutschen Ausgabe nimmt Bezug auf „Alice im Wunderland“. Hatten Sie den Roman im Hinterkopf?

Nein, ich habe nicht daran gedacht – obwohl es auch in „Alice im Wunderland“ ein Loch gibt. Ich habe allerdings den „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch vor Augen gehabt, weil dieses Kunstwerk so ungemein bizarr ist. Wo hat dieser Mann im 15. Jahrhundert bloß diese verrückte sexuelle Vorstellungskraft hergenommen?

Dieses Interview ist übrigens Teil eines Themenschwerpunkts zur Liebe. Sollten wir es dort vielleicht besser wieder herausnehmen?

Hmm, „Haus der Löcher“ ist nicht wirklich ein Buch über Liebe, zumindest nicht im eigentlichen Sinne. Aber es dreht sich um den Akt der Liebe, so gesehen …

Themenwelten

Senioren, Greise, Silver Surfer

Senioren, Greise, Silver Surfer

Alte Menschen in der Literatur

Vom Eise befreit

Vom Eise befreit

Frühlingsliteratur

Über das Denken

Philosophie für Kinder

Von Geburt an Philosophen

Wer sind die anderen?

Afrika

Der so genannte dunkle Kontinent

Familiengeschichten

Vater, Mutter, Kind, Krieg

Familiengeschichten

Wirtschaftskrisenwerke

Wirtschaftskrisenwerke

Über Gier und Risiko