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Interview: Jörn Radtke (jr) | Fotos: Martin Kunze

Über schlechte Übersetzer und ihre Opfer

Kürzer. Schneller. Besser. Harry!

Als Übersetzer, Schriftsteller, Kolumnist und Hörbuchsprecher kennt Harry Rowohlt den Literaturbetrieb auf allen Ebenen und hält mit seiner Meinung zu großen Werken der Literatur­geschichte ebenso wenig hinterm Berg, wie er über Kollegen Klartext spricht.

Eigentlich hatte Harry Rowohlt keine Lust, sich interviewen zu lassen. Journalisten bereiten ihm nur Arbeit, und seine Zeit sei knapp. Schließlich übersetzt Rowohlt nicht nur, er liest vor Publikum, spricht Hörbücher ein, mimt den Penner Harry in der Lindenstraße und schreibt bisweilen auch selbst ein Buch. Umso mehr freute sich unser Redakteur Jörn Radtke, dass Harry Rowohlt ihn dann doch in seine Wohnung ein- und sich vor ihm ausließ.

Sie haben kürzlich im Uebel und Gefährlich mit vielen anderen Sprechern und Schauspielern aus Frank Schulz‘ neuestem Roman „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ gelesen. Großer Bahnhof für nur wenige Sätze, die jeder einzelne zu sagen hatte …

Schulzi hat ja auch gesagt: „Ich möchte nachher nicht das Wort ‚Ressourcenverschwendung‘ hören.“

Wie war es denn?

Da war eine wunderbare Sprecherin, Tina Kemnitz heißt die. Die spricht Fiona Popo und eine Lautsprecherstimme auf dem Flughafen und noch was. Und die hat zu mir gesagt, sie sei so froh, endlich mal ihre innere Stimme kennenzulernen. Ich bin nämlich ihre innere Stimme. Sie war in einer Schmerztherapie, und ihr Therapeut hat gesagt, „Sie müssen immer auf Ihre innere Stimme lauschen. Kennen Sie Ihre innere Stimme?“ Und da sagte sie, ja klar, das ist Harry Rowohlt. Und bei einer besonders schlimmen Schmerzattacke hat sie auf ihre innere Stimme gelauscht. Und ich habe zu ihr gesagt: „Reiß dich doch mal zusammen, Määnn!“ Das war richtig schön. Da habe ich mir die erste von vier erlaubten Kanten pro Jahr (I) gegeben, mit Tina Kemnitz zusammen.

Gefällt Ihnen, wie Frank Schulz schreibt?

Ja, natürlich. Endlich mal einer, der die deutsche Sprache hernimmt. Denn sie ist ja da, man braucht sie nur zu benutzen. Ja, wunderbar.

Was halten Sie denn von anderen deutschen Autoren der Gegenwart?

Mit Genuss zuletzt gelesen an deutscher Gegenwartsliteratur habe ich „Der Hals der Giraffe“ von Judith Schalansky und „So was von da“ von Tino Hanekamp. Da habe ich auch zu beiden Büchern eine Klugscheißerliste gemacht für die weiteren Auflagen. Und beide Autoren waren nicht nur nicht mucksch, sondern dankbar dafür. Und Tino Hanekamp habe ich durchgeboxt für den Förderpreis Komische Literatur des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor. Als Laudatio werde ich meine Klugscheißerliste vorlesen. Bei Sachen, die mir nicht gefallen, die lese ich nicht weiter, und da mache ich mir auch nicht die Mühe einer Klugscheißerliste.

Wie stehen Sie denn als Vielsprecher zum Thema Hörbücher?

Ich habe gestern erst einen Fragebogen ausgefüllt für den Wiesbadener Kurier und habe wieder meinen schönen Spruch über Hörbücher gesagt: Hörbücher höre ich, wenn ich mal blind bin. Bis dahin dauert es mir zu lang, bis diese Schauspieler sich ausbetont haben. Wovon ich selbst wahrscheinlich auch nicht frei bin. Aber weil ich mir meinen eigenen Scheiß nicht anhöre, merke ich das nicht so.

Und machen Sie keine Ausnahme?

Früher habe ich manchmal, als ich noch gesoffen habe, meine Ringelnatz- und meine Shel-Silverstein-CD gehört. Da, muss ich allerdings sagen, war ich des Lobes voll und habe immer wieder gesagt, toll, wie der das macht, so was könnte ich nie!

Was mir besonders gut gefällt, ist Ihre Übersetzung und Lesung von „Der Wind in den Weiden“.

Ja.

Es ist ja schon lange her, dass Sie das übersetzt und aufgenommen haben.

Zwischen Übersetzen und Aufnehmen war auch noch mal lange Zeit. (II) Übrigens – das ist ein prima Thema für Magisterarbeiten für Anglistikstudentinnen – meine Übersetzung ist kürzer als das Original. Normalerweise ist Deutsch, weil sehr viel langatmiger, 14 bis 38 Prozent länger als Englisch. Und damals hat die Mutter Middelhauve, die Verlegerin, weil jede Seite einzeln von Edelmann (III) illustriert werden sollte, sehr sorgfältig Umfangsberechnung gemacht und festgestellt, dass die deutsche Übersetzung kürzer ist als das englische Original, was ihr noch nie vorgekommen war. Und deshalb hat sie immer wieder untersucht, wo hab‘ ich was ausgelassen. Ich habe aber nichts ausgelassen. Das lag daran, dass ich dieses Buch damals gehasst habe. Ich hab das völlig zu Recht als ein antikommunistisches Pamphlet empfunden: Die Leute aus dem Wilden Wald zum Beispiel sind Hausbesetzer, illegale Squatter. Die Helden sind typische Landadlige, die die alten Werte verkörpern, die es zu verteidigen gilt. Deshalb hab ich jedes Kapitel dreimal übersetzt. Dreimal neu. Und dabei ist so viel Überflüssiges durch den Rost gefallen, dass die deutsche Übersetzung kürzer ist als das Original. Habe ich nie wieder hingekriegt. Habe ich allerdings nie beabsichtigt. Und das ist, glaube ich, wirklich einzig auf der Welt.

Wie viele Bücher haben Sie übersetzt?

173. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die haben noch mehr übersetzt. Aber das liegt nur daran, dass sie noch mehr übersetzt haben. Das ist der einzige Grund. – Nein, wenn man nur übersetzt und davon leben muss, muss man mehr übersetzen. Ich habe glücklicherweise noch vier weitere Jobs. Die Sauerei ist ja auch die, dass man als sogenannter „Star-Übersetzer“ wie ich pro Seite auch nicht mehr bekommt als eine Anglistikstudentin im 4. Semester. In der taz war neulich ein Beitrag über Übersetzen und ein leider nicht namentlich genannter deutscher Verleger sagte, warum wir so beschissen bezahlt werden: Ein guter Übersetzer wird, wenn man ihm weniger Geld gibt, nicht schlechter übersetzen. Vor Jahren bin ich mal zum Hamburger Übersetzerstammtisch gegangen, bis mir das zu langweilig geworden ist. Denn in meiner kargen Freizeit will ich, wenn ich zu einem Stammtisch gehe, da saufen und nicht Beschlüsse fassen. Und eine Kollegin, die sagte immer „drinne“, lange bevor Ditsche erfunden war. Und die hab ich gefragt: „Sach mal, dass du aus dem Englischen übersetzt, das hab ich verstanden – aber in was hinein?“ Und wegen der habe ich dann auch die rhetorische Frage gestellt: „Wenn ihr also pro Normseite 250 Mark bekämet statt 18, wäret ihr dann besser?“

Ich bin auf Übersetzungen dringend angewiesen, um das Original wirklich genießen zu können …

Ich hasse Leute, die sagen, das habe ich im Original gelesen. Ich lese auch lieber eine gute Übersetzung als das Original, weil mir das das Nachschlagen erspart. In Frankreich steht der Übersetzer meist auf dem Titel, was ich sehr begrüße. Heute ist ja meist alles eingeschweißt. In der Buchhandlung muss man erst mal die Einschweißung abmachen und dann guckt man, wer das übersetzt hat und dann kauft man’s nicht. Und so sähe man es gleich. Ich will jetzt keine Namen nennen. Aber es gibt Bücher, wenn ich sehe, von wem die übersetzt sind, lese ich tatsächlich lieber das Original.

Zum Beispiel?

Carl Weissner, der neulich gestorben ist.

Der Charles Bukowski übersetzt hat.

Genau. Also ich meine, wie Bukowski übersetzt wird, das ist sowieso wurscht, weil der absolut eindimensional aus Pappendeckel war. Aber Carl Weissner war ein typischer Fall von jemandem, der nicht vom Englischen ins Deutsche übersetzt hat, sondern vom Englischen ins Übersetzte. Da klang jeder Satz aber so was von übersetzt. Da bin ich immer froh, dass ich kein anglophoner Autor bin, der dann von solchen Kollegen übersetzt wird.

Aber Weissner war ja in den siebziger Jahren sehr angesagt.

Ja, wieso nicht? Dass der geschätzte Kollege Wollschläger nichts konnte, ist ja auch nie jemandem aufgefallen. Dabei saßen an seinem Ulysses drei ausgewachsene Lektoren dran, bis Verleger Unseld kam und sagte, so, jetzt aber Schluss. Bis hierher liest das Buch sowieso keiner. Ich brauch‘ Sie für ernsthafte Aufgaben.

Die Wollschläger-Übersetzung des Ulysses ist mir immer empfohlen worden.

Ja, von Leuten, die nichts wissen und die kein Sprachgefühl haben und die auch sonst nicht viel verstehen von irgendwas. Auf Kampnagel war mal eine Ulysses-Marathonlesung. Ich kannte weder die Übersetzung noch das Original – natürlich, denn ich bin Flann-O’Brien-Fan. Für Flann O’Brien und Joyce ist in einem Menschenherzen kein Platz. Das ist wie mit Pauli und dem HSV. Können Sie sich jetzt aussuchen, wer Pauli ist und wer der HSV von den beiden. Und da fing ich an zu lesen und bekam lauter Lacher, wegen der beschissenen Übersetzung. Und ich sagte, das sind Lacher, für die kann ich nichts, weil das Publikum sehr viel besser Englisch konnte als der verehrte Kollege Wollschläger. Der konnte so wenig Englisch, dass das Original wirklich deutlich durchschimmerte. Das war wie auf einem Palimpsest (IV). Und da habe ich, ich weiß nicht, ob ich so was je wieder hinkriegen würde, schneller als das menschliche Auge in Nanosekunden die Wollschlägersche Übersetzung zurück ins englische Original übersetzt und dann die ganze Zeit synchron meine eigene Übersetzung, wörtlich, gemacht. Ja, das hat auch kein Schwein gemerkt. Ach doch, das ist mitgeschnitten worden. Notfalls könnte man sich das anhören. Dazu wird man mich nie zwingen können, dass ich mir anhöre, wie ich das Zyklopen-Kapitel aus Ulysses vorlese. – Wissen Sie, wie lange ich für die sechs Pu-der-Bär-CDs im Studio gebraucht habe?

Bestimmt nur ganz kurze Zeit.

Sagen Sie mal was!

Ich muss mal eben rechnen – zwölf Stunden.

Waaas? Für zwei Bücher? Zwölf Stunden? Ich breche das Interview ab. Sechs CDs in zwölf Stunden?! Mann o Mann, jeder, der ein bisschen was davon versteht, sagt drei Wochen. – Zwei Tage!

Sehen Sie. Da lag ich doch fast richtig. Ich habe Sie eben für so gut gehalten …

Ja, ja.
 
Das Telefon klingelt.

I Der Arzt gestattet Rowohlt „vier Kanten pro Jahr“ – die restliche Zeit ist ärztlich verordnete Abstinenz angesagt.

II „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame, in der Übersetzung von Harry Rowohlt erschienen 1973 bei Middelhauve (Köln), als Hörbuch gelesen von Harry Rowohlt, 2003 bei Kein & Aber (Zürich) veröffentlicht.

III Heinz Edelmann (1934 – 2009), Illustrator und Grafikdesigner. Art Director bei der Produktion des Beatles-Films
„Yellow Submarine“ 1967/1968.

IV Antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text abgeschabt oder abgewaschen und danach neu beschriftet wurde.

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