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Portrait: Ulrike Koeppchen (uk)

Mankell und Wallander

Eben mal die Welt retten

Mit dem melancholischen Kommissar Kurt Wallander aus Ystad hat der Schriftsteller und Dramaturg Henning Mankell eine Figur erschaffen, die überall auf der Welt von den Lesern geliebt wird. Er selbst möchte allerdings nicht mit Wallander befreundet sein, sagt der Autor.

Gut sein kann so einfach sein. „Es wäre doch schrecklich, wenn ich eine gierige Person wäre und bedürftigen Menschen nicht helfen würde“, sagt Henning Mankell. Und: „Ich hoffe doch, dass ich immer noch links stehe.“ Solche Sätze hört man zwar des Öfteren von sogenannten Alt-68ern, der Generation, zu der auch der 65-jährige Henning Mankell gehört, aber die wenigsten machen ernst mit dieser Einstellung. Mankell schon. Die Hälfte des Jahres lebt er in Mosambik, viel von seinem Vermögen investiert er in soziale Projekte, gegen AIDS oder Analphabetismus, gleich zwei Millionen Euro gingen in den Aufbau eines Kinderdorfes. Seine Konsequenz sei imponierend, sagt ein Weggefährte. „Wenn ich möchte, dass meine Kinder eine bessere Zukunft haben, dann muss ich auch an andere Kinder denken“, sagt der Autor. „Denn wenn ich das nicht tue, hat kein Kind eine bessere Zukunft. Woran ich politisch glaube, ist Solidarität.“ Das klingt zu gut, um wahr zu sein und Menschen, die so reden, schallt gern ein gehässiges „Gutmensch“ entgegen. Doch da Mankell gleichzeitig einer der erfolgreichsten Krimi- und Romanautoren der Gegenwart ist, traut sich das in Deutschland nur die konservative FAZ. Ansonsten überschlagen sich die Kritiker vor Lob und es hagelt Auszeichnungen. Vom Gold Dagger, Prix Mystère de la critique bis zum Deutschen Jugendliteraturpreis und dem Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing wurde Mankell querbeet für seine schriftstellerische Tätigkeit, aber auch für sein Engagement geehrt.

Reich und berühmt gemacht hat Mankell die Figur Kurt Wallanders, seit fast 20 Jahren der Lieblingskommissar der Deutschen. Ein einsamer Geschiedener, Diabetiker mit Übergewicht und latenten Alkoholproblem, der Schwierigkeiten mit Frauen und dem schwedischen Wetter hat. Ein ziemlich unperfekter Mensch, dessen Entwicklung von der Anfangszeit als unerfahrener Streifenpolizist in Malmö bis zum Rentenalter wir durch elf Wallander-Bände verfolgen konnten. 2009 war Schluss. Wallander bekam von seinem Erfinder Alzheimer verpasst und Henning Mankell verkündete, einen weiteren Wallander-Roman werde es definitiv nicht geben. Den Punkt hinter das letzte Manuskript musste seine Frau Eva setzen.

Wallanders Zwischenspiel

Die gerade erschienene Novelle „Mord im Herbst“ ist jetzt trotzdem eine Geschichte, in der die deutschen Leser Wallander noch einmal wieder begegnen können. In den Niederlanden wurde das Buch bereits vor einigen Jahren veröffentlicht, aber bisher nicht in weitere Sprachen übersetzt. Es war eine Gratiszugabe, die jeder bekam, der im „Monat des spannenden Buches“ einen Kriminalroman kaufte. „Vor ein paar Jahren hat der englische Schauspieler Kenneth Branagh das Buch wiederentdeckt, als er nach Stoffen für seine Wallander-Verfilmungen suchte. Dann habe ich es noch einmal gelesen, ich fand die Geschichte gut und sagte: ,Warum veröffentlichen wir sie nicht?‘“, sagt Henning Mankell.
In Wallanders Lebenslauf ist „Mord im Herbst“ vor dem bis dahin letzten Band „Der Feind im Schatten“ angesiedelt. Der Kommissar leidet zwar noch nicht unter Gedächtnisschwund, aber er ist ausgebrannt und möchte aufs Land ziehen. Als er ein zum Verkauf stehendes Haus besichtigt, stolpert er im Garten über die Knochen einer menschlichen Hand und spürt den Hintergründen nach. Gerade einmal 144 Seiten hat das Bändchen und ist angenehm zu lesen, aber die Geschichte ist eindimensional gegenüber den Romanen und reicht nicht an die anderen Wallander-Romane heran. Gleichwohl rechnet der Zsolnay-Verlag damit, dass sich „Mord im Herbst“ gut verkaufen wird. Die Startauf­lage beträgt 100 000 Exemplare, eine weitere Auflage ist bereits geplant. Der Optimismus ist wohl berechtigt, denn die Deutschen sind sozusagen Import-Weltmeister, was Wallander-Krimis angeht. Von den etwa 40 Millionen weltweit verkauften Büchern Mankells entfallen allein 15 Millionen auf die deutsche Ausgabe der Wallander-Romane.
„Eigentlich überrascht es mich nicht, dass ich in Deutschland so viele Leser habe“, meint Henning Mankell. Schließlich gebe es viele Ähnlichkeiten zwischen beiden Ländern: in der Kultur, in den Traditionen, auch in politischen Fragen. „Wir sind Nachbarn in vielerlei Hinsicht.“ Das allein dürfte jedoch kaum ausreichen, um den immensen Erfolg der Wallander-Krimis zu erklären, die zwar äußerst spannend und sehr gut recherchiert, aber letztlich doch ziemlich konventionell gestrickt sind.

Ein Allerweltstyp

Wesentlichen Anteil am Erfolg hat die Figur des Kurt Wallanders – kein strahlender Held, aber einer für unsere Zeit. Ein Allerweltstyp mit Hang zur depressiven Verstimmung, in dessen Ängsten und Problemen man sich leicht wiederfinden kann. Er hat das Bedürfnis nach Zweisamkeit und leidet gleichzeitig unter Bindungsangst. Voller guter Vorsätze, was richtige Ernährung und mehr Bewegung angeht, landet er doch immer wieder in Fridolfs Konditorei und legt selbst kürzeste Strecken mit dem Auto zurück. Ihn plagt das schlechte Gewissen, weil er zu unregelmäßig zum Zahnarzt geht und sich zu selten bei seiner Tochter Linda meldet. „Ich habe versucht, eine Person zu zeigen, die sich ständig verändert“, erklärt Henning Mankell. „Wallander ist wie du und ich. Wir sind morgen auch nicht mehr die Gleichen wie heute.“ Mankell lässt den Leser an Wallanders Innenleben teilhaben, an seinen Träumen und Gedanken. Und die sind nicht besonders originell, sondern entsprechen dem, was viele denken. Er hat Angst vor Einsamkeit im Alter, vor Krankheit und körperlichem Verfall. So viel biedere Durchschnittlichkeit würde man keinem Tatort-Kommissar durchgehen lassen, aber vor einer schwedischen Kulisse funktioniert es.

Liebesbriefe für Wallander

Wallander ist eine perfekte Identifikationsfigur, sogar Liebesbriefe bekommt er, von Frauen, die ihn von seiner Einsamkeit erlösen wollen. Das findet Mankell dann doch ein wenig verrückt. „Ja, es ist schon erstaunlich. Offenbar gibt es viele Menschen, die ihn gern als real existierende Person sehen wollen.“ Liebesbriefe an Wallander beantwortet der Autor nicht. Ohnehin kann er sich selbst nicht mit Wallander identifizieren. „Es ist nicht unbedingt so, dass ich ihn nicht mag. Aber ich glaube nicht, dass wir enge Freunde geworden wären, wenn er eine reale Person wäre, weil wir uns wohl nicht viel zu sagen hätten“, sagt er. „Ich finde zum Beispiel, dass er ein sehr merkwürdiges Verhältnis zu Frauen hat.“ Auch wie Wallander sich vernachlässigt, etwa durch sein Essverhalten, sei seltsam, und mit Menschen, die zu viel trinken, könne er, Mankell, nicht umgehen. „Aber es gibt schon ein paar Dinge, die wir gemeinsam haben. Wir haben das gleiche Alter, wir mögen italienische Opern und wir arbeiten viel.“ Dann fällt ihm noch ein vierter Punkt ein: „Wallander ist eine sehr moralische Person, und das bin ich auch.“ Trotz seiner Unzulänglichkeiten nimmt Wallander den Kampf gegen das Böse immer wieder auf. Er sinniert über die Abgründe und den Verfall der schwedischen Gesellschaft und ist damit auch Mankells „moralisches Sprachrohr“. Und damit wahrhaftig.

Scharfsinnige Analysen

Wie moralisch Mankell ist, kann man in der Biografie der dänischen Journalistin Kirsten Jacobsen nachlesen, die zeitgleich mit „Mord im Herbst“ auf Deutsch erschienen ist. Darin schildert die Autorin den Werdegang Mankells vom Sohn eines alleinerziehenden Richters in der schwedischen Provinz über den Teilnehmer an der Pariser Studentenrevolte 1968 und früh anerkannten Autor und Regisseur linker, sozialkritischer Theaterstücke bis zum Wahl-Afrikaner und international gefeierten Erfolgsautor. Den größten Teil des Buches macht aber die wörtliche Wiedergabe von Gesprächen aus, die Kirsten Jacobsen mit Henning Mankell geführt hat und in denen dieser ausführlich seine Weltsicht darlegt. Es sind kluge, scharfsinnige Analysen, zum Beispiel wenn er auf Tabus in der Diskussion um Ausländer hinweist, die ihn auch zum ersten Wallander-Roman inspiriert haben. „Ich kann mich erinnern, dass man vor ungefähr zehn Jahren in einer Untersuchung festgestellt hat, dass die Mehrzahl derer, die in schwedischen Gefängnissen sitzen, sogenannte Migranten waren. Der Staat beschloss, diese Tatsache geheim zu halten, aber die Information gelangte natürlich trotzdem nach draußen. Und das brachte zu Recht die Leute auf, die sich nun zunehmend skeptisch gegenüber der Einwanderungspolitik verhielten.“

Eigentlich hat Mankell recht mit allem, was er sagt, und doch haftet seinen Analysen eine jakobinische Strenge an, die unzeitgemäß, wenn nicht gar befremdlich wirkt, zumal die Autorin dem wenig entgegenzusetzen hat, sondern in Heldenverehrung förmlich erstarrt. Mankell wird es nicht kümmern: „Ich selbst habe das Buch gar nicht gelesen. Ich versuche, nichts über mich zu lesen, ich lese nicht einmal Rezensionen. Ganz ehrlich, ich brauche das nicht. Die Zeit ist zu kurz, und ich ziehe es vor, an meinen Geschichten zu arbeiten.“

Lesenswert ist „Mankell über Mankell“ natürlich trotzdem, allein schon wegen der Sätze, die seine Frau Eva, die Tochter Ingmar Bergmans, darin über Mankell sagt: „Sehr bald, nachdem ich mit Henning verheiratet war, musste ich einsehen, dass ich einen Troll geheiratet hatte. Er wollte am liebsten in einer dunklen Grotte sitzen. Und schreiben. Manchmal guckte er heraus, um zu sehen, ob ich noch da bin oder ob einer wütend auf ihn ist. Jetzt, zehn Jahre später, ist er fast die ganze Zeit draußen. Und schreibt. Er gleicht mehr und mehr einem richtigen Menschen.“

Henning Mankell: Mord im Herbst. Übersetzt von Wolfgang Butt. Zsolnay, 144 Seiten, 15,90 Euro, als E-Book erhältlich

Hörbuch
Gelesen von Axel Milberg. Der Hörverlag, 190 Min./3 CDs, 19,99 Euro

Kirsten Jacobsen: Mankell über Mankell. Übersetzt von Lutz Volke. Zsolnay, 336 Seiten, 21,90 Euro, als E-Book erhältlich

 

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