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Portrait: Christian Bärmann (bär) | Fotos: Amy Guip

Stephen King

„John F. Kennedy wäre Fan der Beatles gewesen“

Was wäre, wenn man die Ermordung John F. Kennedys ungeschehen machen könnte? Um diese Frage dreht sich Stephen Kings neuer Roman „Der Anschlag“. BÜCHER war dabei, als der Bestsellerautor das Werk in Boston erstmals präsentierte.

Über Stephen King kursieren einige sonderbare Geschichten. Kein Wunder. Was muss das wohl für ein Mensch sein, der oft mit den tiefsten Ängsten seiner Leser spielt? Ein Meister des Horrors und der Spannung, der in einem Haus in Bangor im US-Bundesstaat Maine wohnt, das von einem mit Spinnen und Fledermäusen geschmückten Zaun umgeben ist. Dabei ist Stephen King etwa so schaurig wie Bob der Baumeister. Der amerikanische Bestsellerautor, dessen Vita rund 50 Romane, 400 Kurzgeschichten und 350 Millionen verkaufte Bücher schmücken, gab sich Mitte November bei der Präsentation seines neuen Romans „11/22/63“ (deutscher Titel: „Der Anschlag“) charmant und unterhaltsam. „11/22/63“, das steht in der amerikanischen Schreibweise für den 22. November 1963 und markiert den Tag, an dem John F. Kennedy in Dallas erschossen wurde. So lag es nahe, Stephen Kings neuen Roman im „John F. Kennedy Presidential Library and Museum“ in Boston zu präsentieren. Auf über 1000 höchst unterhaltsamen und offenkundig akribisch recherchierten Seiten beschreibt der Autor, wie ein Lehrer aus dem heutigen Maine zurück ins Jahr 1958 reist, dort fünf Jahre lebt, um in jenem November des Jahres 1963 das Attentat auf Präsident John F. Kennedy ungeschehen zu machen.

Die Gegenwart erscheint in einem viel positiveren Licht

Schon in den 70er-Jahren habe ihn diese Idee gefesselt, berichtet King im Podiumsgespräch mit dem US-Autor Tom Perrotta. „Wie sähe die Welt heute aus, wenn Kennedy nicht erschossen worden wäre?“, bringt der 63-Jährige die Prämisse seines historischen Romans auf den Punkt und gibt schmunzelnd zu: „Hätte ich geahnt, wie viel Rechercheaufwand damit verbunden ist, hätte ich diese Frage vermutlich unbeantwortet gelassen.“ Herausgekommen ist eine packende Geschichte, eine Art Spionageroman, in dem der Held – Jack Epping, 35, High-School-Lehrer aus Lisbon Falls, Maine – in der Vergangenheit für sich eine eigene Welt kreieren muss. Jack muss seine Kleidung und seine Frisur, aber auch Redewendungen und Songtitel, die er summt, anpassen. Eine Herausforderung, so King: „Würde man heute ins Jahr 1958 zurückkehren, müsste man auch immer bedenken, dass man ja weiß, dass die Welt nicht einer atomaren Katastrophe zum Opfer fallen wird.“ Der Aspekt der Zeitreise, betont Stephen King, sei nur ein Mittel gewesen, um einen modernen Menschen in eine Zeit reisen zu lassen, die für viele Menschen heute bereits wie die Steinzeit anmutet. Seither sehe er auch die heutige Zeit in einem viel positiveren Licht. Dennoch habe ihn das Wiederentdecken der 50er- und 60er-Jahre sehr bereichert. „Ich habe überdies Kennedy als Menschen mehr schätzen gelernt. Während der Recherche bin ich auf ein Video gestoßen, auf dem Kennedy in Miami zu sehen ist, eine Woche vor dem Attentat. Dabei begrüßt ihn ein Mann in Lederhose und Hosenträger, der Akkordeon spielt. In diesem Moment kann man sehr gut erkennen, wie Kennedy denkt, in was für einer bizarren Welt er sich befindet“, berichtet King – und ergänzt: „Schade, dass Kennedy die Beatles nicht mehr erlebt hat. Ich glaube, er wäre ein Fan gewesen.“

Stephen Kings eigene Fans wissen längst, dass er weit mehr als „nur“ Schriftsteller kruder Horror-Geschichten ist. Natürlich kenne er seinen Ruf, sagt er. Zumal dieser ihn ständig einhole. In Florida etwa, dem Winterdomizil des Autors, sei jüngst eine alte Frau, „die mindestens 120 Jahre alt war und sichtbar diverse Ehen hinter sich hatte“, auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Ich kenne Sie! Sie schreiben doch diese Horror-Romane. So was lese ich nicht. Ich mag eher die positiven Geschichten wie ,Die Verurteilten‘ (Originaltitel: „Shawshank Redemption“).“ Das habe er auch geschrieben, bemerkte King daraufhin. „Nein, haben Sie nicht“, beharrte die alte Dame und beendete damit die Diskussion. Stephen King lacht über solche Begegnungen, zumal er selber nie gesagt habe, bestimmte Romane für eine bestimmte Leserschaft zu schreiben. „Ich habe es immer als großes Geschenk empfunden, immer über das schreiben zu können, worüber ich schreiben wollte – und damit meine Familie ernähren zu können.“ Anders als viele andere Autoren, die stets den Mantel des gefolterten Künstlers tragen würden. „Ich würde es sogar umsonst machen, wenn ich dafür kein Geld bekommen könnte. Schreiben macht mit Geld aber deutlich mehr Spaß (er schmunzelt). Zumal der eigentliche Prozess nicht sehr interessant ist. Wenn ich Besuchern meinen Arbeitsplatz zeige, sind sie immer enttäuscht, weil der Zauber fehlt. Ein Tisch, ein Computer, einige Post-its und viel Unordnung – der Zauber, die wahre Geschichte, spielt sich woanders ab.“

Von Natur aus ängstlich

Als Stephen King im Alter von 23 Jahren mit dem Schreiben begann, war er Lehrer und lebte mit seiner Frau Tabetha, zwei kleinen Kindern und wenig Geld in einer kleinen 90-Dollar-Mietwohnung in Bangor, im nordöstlichsten Staat der USA, Maine. „Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir den späteren Verlauf meiner Karriere nicht mal annähernd träumen lassen. Ich hatte die Hoffnung, mit dem Schreiben zumindest so viel Geld zu verdienen, um das nächste Buch schreiben zu können.“ Für seinen ersten Roman „Carrie“ erhielt der in Portland geborene Autor einen Zuschuss von 2.500 Dollar. „Davon haben wir uns einen neuen Ford Pinto gekauft, den meine Frau wegen der Gangschaltung nicht einmal fahren konnte …“, erinnert sich King. Ebenso an den Tag, als ihn sein Verleger anrief und ihm mitteilte, dass die Paperback-Rechte für „Carrie“ für sagenhafte 250.000 Dollar verkauft worden seien. „Mein erster Gedanke war, dass ich meiner Frau ein schönes Geschenk kaufen müsse. Leider hatte zu diesem Zeitpunkt in Bangor nur eine Drogerie geöffnet, sodass ich ihr (er macht eine Pause) einen Fön geschenkt habe …“, gibt Stephen King ein wenig verlegen zu.
 
Fast ebenso verlegen erklärt der Horror-Zeremonienmeister, von Natur aus ängstlich zu sein. Das erkläre auch, warum er so viele Schauergeschichten verfasst habe. „Es ist wie mit dem Pfeifen im Wald: Meine Mutter hat mir einst gesagt, wenn ich mich vor etwas fürchte, müsse ich es nur laut aussprechen, dann würde es nicht eintreten. Also habe ich über viele Dinge geschrieben, die mir Angst machen.“ Etwa fanatische Fans. King gibt preis, einst auf einem Flug nach England von einer Frau geträumt zu haben, die ihren Lieblingsautor gefangen nimmt, ihn häutet und ein Buch in dessen Haut einarbeitet. Es war die Geburtsstunde von „Misery“. Noch im Hotel in London wollte der Autor die ersten Seiten verfassen, weil er wegen der Zeitverschiebung nicht schlafen konnte – und sich offenbar der Angst vor einem solchen Fan entledigen wollte. Der Hotelmanager wies King einen wunderschönen Schreibtisch zu, der einst Rudyard Kipling gehörte. „Als ich müde wurde und ins Bett gehen wollte, fragte mich der Hotelmanager, ob er erwähnt habe, dass Kipling an diesem Schreibtisch nach einem Infarkt gestorben sei …“ Auch das, sagt King, sei angsteinflössend gewesen. Denn eines Tages werde es irgendwo auch einen Ort geben, an dem die Leute sagen würden: „Hier ist Stephen King gestorben.“ Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass an dem Ort dann auch viele sonderbare Dinge über den „Horror-Autor“ aus Maine erzählt werden.

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