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Arne Dahl über grauenhafte Todesarten

Mann mit zwei Gesichtern

Jan Arnald alias Arne Dahl ist ambitionierter Romancier und erfolgreicher Thrillerautor in einem. Jetzt startet er eine neue Thrillerserie um eine fiktive Europol-Einheit, die Verbrechen im globalen Maßstab aufklärt. BÜCHER traf den umtriebigen Autor in Berlin.

Wenn man die Ausstrahlung dieses Mannes mit einem Wort beschreiben wollte, müsste man aufs Englische zurückgreifen, das dafür genau die passende Vokabel bereithält: well-tempered. Das heißt sowohl „gutmütig“ als auch „wohltemperiert“. Von diesem Mann, der auf jedem Foto, das von ihm gemacht wird, mit gleichbleibend freundlicher Miene ins Objektiv schaut, ist sicher nur Gutes zu erwarten. Er ist Schwede; und dass Deutsche, die seine Bücher nicht kennen, ihn oft für einen Dänen halten, hängt wohl mit dem Vornamen zusammen, den er für sein Pseudonym gewählt hat, denn „Arne“ klingt nun einmal ziemlich dänisch. Als „Arne Dahl“ schreibt Jan Arnald, wie er eigentlich heißt, seit fünfzehn Jahren sehr erfolgreich Kriminalromane. Vorher war er etwas, das er selbst im Gespräch einen „akademischen Autor“ nennt, schrieb Lyrik und Prosa, die, wie er sagt, „nur innerhalb eines bestimmten Kreises überhaupt wahrgenommen wurden“, und arbeitete als Literaturkritiker. Das alles tut er immer noch, auch wenn die Arne-Dahl-Krimis natürlich einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch nehmen. Und so allmählich gewinnt der Romanautor Jan Arnald an internationalem Profil. Im letzten Herbst erschien Arnalds komplexe Liebesgeschichte „Der weiße Roman“ auf Deutsch, drei Jahre vorher sein Roman „Maria und Artur“, und auch in Estland und Russland sind Arnald-Übersetzungen in Arbeit.

Das freut ihn sichtlich, doch weiß er auch, dass Jan Arnald seine zunehmende Popularität als Autor Arne Dahl verdankt. Warum schreibt er überhaupt noch unter Pseudonym, wenn seine Identität ohnehin schon seit langer Zeit gelüftet ist? – „Warum?“ wiederholt er etwas erstaunt und sagt nach kurzer Überlegung: „Ich weiß, es gibt Kollegen, die unter ihrem eigenen Namen sowohl Krimis als auch ihre anderen Romane veröffentlichen. Henning Mankell hat das getan oder Håkan Nesser. Das geht natürlich auch, aber ich denke, die Leute haben dann vielleicht doch die falschen Erwartungen. Und Arne Dahl ist ja inzwischen eine eingeführte Marke.“

Schwedens Ausbruch aus der Isolation

Um diese Marke zu pflegen, ist Jan Arnald nach Berlin gekommen, denn kurz vor Erscheinen des neuesten Dahl-Thrillers „Gier“ sind ein paar Termine zu absolvieren. Das ist auch eine gute Gelegenheit, wieder einmal nach dem Rechten zu sehen. Arnald und seine Frau Sara haben eine kleine Wohnung in Berlin, die sie sich mit einem anderen Paar teilen. Und zwar keineswegs in einer der hippen, teuren Gegenden, sondern in einem der graueren Teile Neuköllns, die vom Szenetreiben bisher unberührt geblieben sind. Wozu dieser Berliner Nebenstandort? „Manchmal hat man als Schwede den Wunsch, sich ein bisschen mehr inmitten der Dinge zu fühlen. In der Mitte Europas eben. So wie die Deutschen nach Schweden kommen, um etwas weiter weg von allem zu sein, kommen wir umgekehrt hierher.“ Europa, so stellen wir im Gespräch fest, ist in Schweden ohnehin ein Thema, das viel stärker in der öffentlichen Diskussion steht als in Deutschland. Lange Zeit lebte Schweden in selbstgewählter Isolation, schottete sein sozialdemokratisches „folkhem“ ab gegen Nationalsozialismus, Kalten Krieg und Europäische Gemeinschaft. Mit dem Beitritt zur EU hat sich viel geändert, doch die EU-Mitgliedschaft wird immer noch nicht mit derselben Selbstverständlichkeit hingenommen wie in Deutschland oder Frankreich, sondern mit kritischer Aufmerksamkeit begleitet. Wahrscheinlich ist es also nur folgerichtig, wenn es jetzt ein Schwede ist, der die erste paneuropäische Thrillerserie hinlegt.

Arne Dahls „Gier“ ist der erste Band einer auf vier Bücher angelegten Reihe. Etwas irritierend ist die Tatsache, dass er herauskommt, bevor die zehnbändige Arne-Dahl-Serie um das A-Team ordnungsgemäß beendet wurde. „Himmelsöga“ (zu deutsch „Himmelsauge“), der bereits 2007 erschienene letzte Band der Serie, wartet immer noch auf seine deutsche Übersetzung. „Gier“ dagegen kam erst letztes Jahr auf Schwedisch heraus und ist jetzt schon in der Übersetzung auf dem Markt. Ja, wahrscheinlich sei das ein PR-Kalkül seines deutschen Verlages, gibt der Autor zu. Der zehnte Band einer eingeführten Serie ziehe eben längst nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich wie der erste Band einer neuen.

Liebgewonnene Charaktere aus der alten Serie kommen mit in die neue

Wirklich neu an „Gier“ ist der weite internationale Fokus. Auch die A-Team-Bücher behandelten schon Verbrechen mit internationalem Kontext. Doch mit der neuen Serie verlassen wir Schweden und werden in die Welt von Europol eingeführt. Noch ist das Szenario fiktiv, das Arnald entwirft: eine spezialisierte Polizeieinheit innerhalb von Europol zu bilden, die weitreichende, internationale operative Befugnisse haben würde. Etliche liebgewordene Helden und Heldinnen aus der alten Serie hat der Autor hinübergerettet in seine neue Euro-Welt – zu viele Schweden eigentlich, als man realistischerweise innerhalb einer einzigen Abteilung irgendeiner europäischen Behörde unterbringen könnte. Paul Hjelm darf dabei sein, diesmal als Chef, außerdem Arto Söderstedt und Jorge Chavez, während die Frauen, Kerstin Holm und Sara Svenhagen, weiter zu Hause in Schweden Verbrecher jagen müssen. Das Euro-Team erweitert sich dafür um einen Italiener, eine Rumänin, eine Britin, einen Polen, eine Litauerin und eine Deutsche. Und man könnte fast glauben, der Autor würde von der EU dafür bezahlt, so intensiv arbeitet dieser Roman daran, das Gruppengefühl des A-Teams innerhalb dieses europäischen Rahmens wiederherzustellen. Doch da man die Absicht merkt, fremdelt man noch ein wenig mit der neuen internationalen Taskforce. Und dann ist es auch nicht ganz einfach, die vielfädige Handlung immer souverän zu überblicken. Sie nimmt vom G-20-Gipfel in London ihren Ausgang und bringt so entfernte Handlungsorte wie Den Haag, Tibet, Schweden, New York, Italien und Estland in einem globalisierten Geflecht krimineller Interessen zusammen. Das ist sehr ambitioniert gemacht und wird garniert von einer großzügigen Handvoll wie immer auf grauenvolle Art umgebrachter Leichen. Und so sehr man die Absicht honorieren mag, Globalisierungskritik als Thriller zu verpacken, so kann man doch leicht das Gefühl bekommen, ein paar der bestialisch gefolterten Toten seien vielleicht doch mal wieder zu viel gewesen. – Wirklich? fragt der Autor erstaunt und guckt jetzt ein wenig betroffen. Nun ja, erklärt er dann, manche Tode erschienen vielleicht noch nicht ganz verständlich, da er bewusst das eine oder andere Ende offen gelassen habe. Einige Handlungsstränge würden im nächsten Band oder über die gesamte Serie hin weitergeführt. Mit dem zweiten Band sei er übrigens schon fertig.

Der seltsame Wettbewerb um die allergrauenhafteste Todesart

Es ist trotzdem eigenartig, dass selbst einer wie er, der mit Sprache so grandios umzugehen weiß und damit schon enorm Eindruck machen kann, auch noch beitragen muss zur zunehmenden Brutalisierung, ja Splatterisierung des skandinavischen Kriminalromans. Es ist ja fast, als habe Henning Mankell mit seinen Megasellern einen unausgesprochenen Wettbewerb angestoßen, der unter seinen Erben läuft: Wer kann sich die allergrauenhafteste Todesart ausdenken? Wenn man dem feingeistigen Jan Arnald so gegenübersitzt, will man gar nicht glauben, dass der Mann mit dem gutmütigsten Gesicht Nordeuropas sich tatsächlich all diese Dinge ausdenkt. Nadeln ins Hirn stechen, um den empfindlichsten Schmerzpunkt zu treffen. Menschen die Gesichtshaut bei lebendigem Leib abziehen. Sie wilden Tieren zum Fraß vorwerfen. Solche Sachen. Aber der hier, das ist ja auch Jan Arnald, der Dichter. Der andere, der Dahl, ist wahrscheinlich einer, der die Öffentlichkeit meidet und nur bei Dunkelheit herauskommt, wenn niemand ihn sehen kann. Der wird weggeschlossen, wenn die Presse kommt. Was ist das überhaupt für ein Arbeiten, mit den Intellektuellen-Romanen auf der einen Seite und den intelligenten Thrillern auf der anderen? Wann findet man noch Zeit für den „richtig“ literarischen Kram, wenn man doch, pünktlich wie die Eisenbahn, jedes Jahr einen neuen Krimi veröffentlicht? Schreibt man montags ernsthafte Literatur, und dienstags Thriller? „Nein, so geht das gar nicht“, sagt er und lacht. „Das wäre ja schizophren.“

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