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Reportage: Meike Dannenberg (md) | Fotos: Meike Dannenberg

Schreiben lernen

Nach den Regeln der Kunst

Ein guter Roman ist nicht unbedingt Ergebnis einer einsamen Schaffensperiode, er kann auch aus qualifiziertem Miteinander von Schreibinteressierten und versierten Dozenten entstehen. Meike Dannenberg nahm für BÜCHER an zwei Kursen der Textmanufaktur teil.

Musenkuss, los schreiben! Der Mythos des solitären Genius mit Schreibmaschine, kettenrauchend, Rotwein schlürfend, dessen Gehirn dabei vollendete Geschichten ausdünstet, hat sich noch nicht überlebt. Das kann ja auch funktionieren, tut es aber bei den meisten nicht. Oder schlimmer: Der Textberg wächst, die Qualität stagniert und die Gesundheit leidet. Nicht wenige fühlen sich beim Schreiben, sei es mit Klischeehabitus oder ohne, vom steigenden Druck der Arbeit an einem Manuskript überfordert. Es muss mehr als nur ein Problem gelöst werden, bis ein Buch fertig ist: Perspektive, Stil, Genre, Dramaturgie sind nur ein Teil der Herausforderungen, mit denen sich ein angehender Autor herumschlagen muss.

Das Niveau schwankt

Die „Textmanufaktur“ bietet vom „Grundlagenkurs Prosaschreiben“ bis zur begleiteten Romanentwicklung über knapp zwei Jahre für Einsteiger und Fortgeschrittene Kurse an. Schriftsteller Feridun Zaimoglu, Krimilektor Peter Hammans vom Droemer Knaur Verlag, Martin Hielscher, Programmleiter bei C.H. Beck oder der Agent von Heinrich Steinfest, Uwe Heldt, gehören zu den Dozenten der Schreibschule, die eine Schnittstelle zwischen Buchbranche und Nachwuchs bietet. André Hille kann sich seit Gründung 2009 vor Anmeldungen zu den deutschlandweiten Seminaren kaum retten. Es gibt sogar eine Warteliste. Nur einige Kurse sind erst nach einer Vorab-Eignungsprüfung zugänglich, sonst gilt das Prinzip, wer sich zuerst anmeldet, mahlt zuerst. Das Niveau der einzelnen Texte kann dadurch zwar stark schwanken, aber im gegenseitigen Feedback ist immer auch der Lesende angesprochen.

Entsprechend nervös sitzen die Teilnehmer, überwiegend Frauen, in der Buchhandelsschule in Frankfurt, die die Räumlichkeiten, Fremdenzimmer und Verpflegung für das Grundlagenseminar als Gesamtpaket bietet, auf ihren Plätzen, lächeln, zupfen an ihren Unterlagen oder ihrem Laptop herum. Sind sie hier richtig? Können die anderen mehr? Einige wollen sich hier zum ersten Mal Feedback holen, alle sind wegen des höchst professionellen Rufes der Textmanufaktur hier, in der das Schreiben für einen Leser im Mittelpunkt steht. Am besten für viele Leser, für anspruchsvolle Leser. Prosa als therapeutisches Mittel zur Selbstfindung ist hier nicht Thema und die Veröffentlichbarkeit eines Textes eine mögliche Messlatte der Qualität. André Hille kennt den Markt. „Und das“, sagt er, „ist immer noch für die meisten das große Ziel: Einen Verlag finden, am besten keinen Nischenverlag, sondern einen renommierten.“

Schreiben ist peinlich

Das Prestige des Berufes des Schriftstellers ist ungebrochen. Doch anscheinend gilt gerade in Deutschland die Vorstufe zur Schriftstellerei immer noch als Krücke. Echte Schriftsteller tun es, am besten schon ihr Leben lang, weil sie gar nicht anders können, allein. Im angelsächsischen Raum dagegen hat jede Uni Seminare zu „creative writing“, Kurse, Ausbildungen und Seminarprogramme entmystifizieren den Schriftstelleralltag. Der vor allem eins ist: harte Arbeit. „Schreiben ist peinlich“, sagt später auch ein Kursteilnehmer. „Spielst du Klavier, fragt dich ja auch nicht gleich jeder, ob du Konzerte gibst, aber beim Schreiben heißt es immer: Hast du schon veröffentlicht?“ Schreiben ist peinlich. Genau den Satz hatte auch Juli Zeh unlängst vor einer Gruppe Studenten im Gastseminar „Kreatives Schreiben“ an der Lüneburger Uni gesagt. Sie habe in frühen Jahren nur heimlich geschrieben.

Dabei werden gute Ideen und vor allem professionalisierte Schreiber, die bereit sind, auch etwas mit Niveau für den hungrigen Markt der Unterhaltungsliteratur zu produzieren, ständig gesucht. Das ist auch ein wirtschaftlicher Faktor: Laut Börsenverein des deutschen Buchhandels wurden 2011 wieder etwa 10 Milliarden Euro mit Büchern umgesetzt, der Anteil der Belletristik liegt dabei jährlich, mit kleinen Schwankungen, bei rund 33 Prozent. Davon hatte 2010 das Segment „erzählende Literatur“ die Hälfte erwirtschaftet, also über 150 Millionen Euro, dicht gefolgt von „Spannung“ mit rund 90 Millionen Euro. Das klingt nach einer Menge Geld, aber an der Spitze der Bestsellerlisten stehen weniger als 0,1 Prozent der Autoren und mit ihnen muss 90 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet werden. Viel bleibt für die Basis der Pyramide also nicht übrig und gerade erste Bücher sind dem Risiko ausgesetzt, wie Blei in den Regalen zu liegen. Die Verlage schicken deshalb etliche Pferde ins Rennen, der Markt ist hart umkämpft, und ohne große Masse geht es auch nicht: spannende Krimis, lustige Frauenromane, historische Schmöker, mal mit Niveau, mal bewusst literarisch kleinkalibrig, aber vor allem handwerklich perfektioniert. Literaten und Dichter werden gesucht, eigenwillige Talente mit Sprachverve und -gefühl, hier sind die Verkaufszahlen oft kleiner, dafür der Imagefaktor für den Verlag größer.

Wein ohne Glas

André Hille findet, dass hierzulande gelegentlich das Spannungsverhältnis Sprache versus Handlung in der anspruchsvollen Literatur sehr zugunsten der Sprache gewichtet wird. Da würden langweilige Texte, wenn auch auf sprachlich hohem Niveau, mehr Chancen auf Preise haben, als gut strukturierte Sujets, in denen es um die Geschichte geht. „Die heilige Sprache“, sagt er, „darum ging es ja schon bei Hölderlin.“ Im angelsächsischen Raum dagegen träfe sich auch mal hohe Sprachkunst mit großem erzählerischen Können. „Die Autoren dort haben eine andere Tradition des Schreiben Lernens.“ „Plotten“, so das englische Wort für das Erfinden einer Struktur, einer Form und der Perspektiven einer Geschichte gehöre schließlich selbstverständlich zum Rüstzeug eines guten Autoren. Eben nach diesen Grundsätzen ist auch der Kurs aufgebaut, Stil und Sprachkunst lässt sich nicht an einem Wochenende lernen, aber elaborierte Sprache ohne elementares Wissen über Perspektive, Figuren, Thema und Milieu ist wie Wein ohne Glas.

Die Teilnehmer haben ganz unterschiedliche Erwartungen. Einige sind weit gereist, im Gepäck fertige Romane. Andere quälen sich bereits seit vielen Jahren mit dem Gedanken „irgendwann zu schreiben“ und wollen hier herausfinden, ob genug Talent da ist. Das allerdings muss auch nach dem Kurs jeder für sich selbst beantworten, aber die Richtung ist jetzt klarer: „Ich habe mich das erste Mal so intensiv mit den verschiedenen Ebenen der Handlung auseinandergesetzt“, sagt Snjezana. Da geht es um Figuren, laut André Hille das Wichtigste überhaupt, aber auch um die Frage, in welchem Milieu sie sich bewegen. Welche antagonistischen Kräfte behindern oder bedrohen sie? Was ist das Thema des Romans? Erst wenn diese Aspekte einer Handlung sich in einem ausgewogenen Spannungsverhältnis befinden, kann eine Geschichte funktionieren und Leser berühren.

Regeln, unumstößliche und beugungsfähige

Die praktischen Übungen dazu machen Spaß. Keiner muss vorlesen, viele wollen. „Mir hat vor allem die herzliche Atmosphäre gefallen“, sagt Iris, die in der Banken- und Versicherungsaufsicht tätig ist. Die Teilnehmer haben zum Teil auch schon Schreiberfahrungen aus Pressearbeit, als Journalistinnen, aus jahrelangem heimlichen Schreiben. Anja sitzt an ihrem vierten Roman. Die Siebenundzwanzigjährige spricht sehr schnell und schreibt sehr schnell, trotz ihres Berufes als Erzieherin und einer nebenberuflichen Selbstständigkeit als Importeurin von Kunsthandwerk. „Vielleicht hätte ich mit dem vierten Roman warten sollen, bis ich den Kurs gemacht habe“, sagt sie. „Jetzt muss ich vieles neu anlegen.“ Was sie gemacht hat, ist die Art, wie viele Menschen die Arbeit als Schriftsteller begreifen: einsam. Hier ist genau das Gegenteil der Fall. Erst gemeinsam wird offenbar, was der betriebsblinde Einzelne oft nicht greifen kann: Einem Teilnehmer schwant bereits am ersten Tag und durch vielfältiges Feedback, in dem es um Charakter und die Vorgeschichte seines Protagonisten geht, dass er bereits drei Jahre und über unzählige Sätze Eigenschaften seiner Hauptfigur mitschleift, die wie ein Klotz am Bein die Handlung lähmen. Sind die Motive der Figur nicht schlüssig, wird auch die ganze Rahmenhandlung nicht packen. Ganz schnell wird klar: André Hille erklärt Regeln. Teilweise unumstößliche. Teilweise welche, die beugungsfähig sind, aber besser, man kennt sie trotzdem.

Orientierung und Irritation

„Muss ich in der Perspektive konsequent bleiben?“, fragt ein Teilnehmer. „Das kommt darauf an, wie stark du den Leser irritieren willst. Irritation und Orientierung“, sagt André Hille, „sind die Mittel des Schriftstellers, seinen Leser bei der Hand zu nehmen oder ihn wegzustoßen. Fehlt die Irritation wird die Handlung vorhersehbar und seicht, fehlt die Orientierung legen die meisten den Roman weg.“ So einfach ist das. Oder die Frage an André Hille nach dem sympathischen oder unsympathischen Helden: „Ich will mit einem Unsympathen kein Bier trinken gehen und schon gar keinen ganzen Roman verbringen.“ Wir seien verwöhnte, übersättigte, professionelle Leser, sagt er außerdem. Was uns nicht gefällt, lesen wir nicht. An der Flipchart stehen Buchstaben, Feile, Bögen und Linien, die alle innerhalb einer Romanhandlung eine Rolle spielen. Egal, welcher Roman, egal welche Handlung. Wer die Ausnahme propagiert, kann das nur herausragend gut tun.

Das beste Päckchen

André Hille malt ein kleines Kästchen mit einer Schleife drauf: „Das Erzählte gut zu verpacken ist das Geschenk des Schriftstellers an den Leser.“ Wer dieser Tage das schönste Päckchen geschnürt hat, kann obendrein schon auf eine mögliche Veröffentlichung hoffen. Aus den Seminaren jeden Jahres werden je zwei Teilnehmer ausgewählt, die sich für den Werner-Bräunig-Literaturpreis qualifizieren: Und der besteht aus einem Verlagsvertrag des Aufbau Verlages mit 5000 Euro Vorschuss. Der erste Schritt ist gemacht. Und wie heißt es so schön: Ein Roman besteht aus vielen Sätzen. Einem Schritt nach dem anderen.

Infos und Kontakt:
Telefon 0341 355 875 62, www.text-manufaktur.de

Buchempfehlungen zum Thema Kreatives Schreiben
 
James Wood: Die Kunst des Erzählens. Rowohlt, 237 Seiten, 19,95 Euro
Daniel Kehlmann schreibt „Die Kunst des Erzählens“ sei ein Lehrbuch des Schreibens. Und er hat recht. Der Kritiker James Wood zeigt das Funktionieren von Stil, die Bindung von Leser an Figuren, das ein und Ausatmen des Textes anhand unzähliger, wundervoller Beispiele.
 
Robert McKee: Story. Alexander Verlag, 494 Seiten, 29,90 Euro
Dieses Buch behandelt zwar die Prinzipien des Drehbuchschreibens, aber Formeln, die die „Substanz“ einer Geschichte transportieren, lassen sich ebenso auf einen Roman anwenden. Das Buch von McKee ist zum Klassiker geworden, wenn es um die fundierte Aufarbeitung erzählerischer Möglichkeiten geht.
 
Julia Cameron: Von der Kunst des Schreibens. Droemer Knaur, 336 Seiten, 9,99 Euro
Julia Cameron, bekannt durch „Der Weg des Künstlers“, einem achtwöchigen Kurs in Buchform um den „inneren Künstler“ (wieder) zu aktivieren, gibt hier spezifisch für das Schreiben Übungen und Affirmationen an die Hand. Ihr Ansatz hat teils irritierende esoterische Anteile, funktioniert aber trotzdem bei der Überwindung  kreativer Blockaden und bringt erhellende Einsichten über die eigene Schreibmotivation.
 
Elizabeth George: Wort für Wort – Oder die Kunst ein gutes Buch zu schreiben. Goldmann, 352 Seiten, 12 Euro
Elizabeth George ist eine überaus disziplinierte Schriftstellerin. Dergestalt auch ihre Ratschläge, denn sie erklärt, wie sie in ihren Romanen den Überblick behält: Sie schreibt sich selbst eine Szenenübersicht, teils umfassender als der folgende Roman. Elizabeth George zeigt anhand ihrer persönlicher Arbeitsweise, wie sie sich Regeln und Figuren ihrer Romane erarbeitet.

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