Die kanadische Autorin Alice Munro gilt als Meisterin der Kurzgeschichte. Nun erscheint ihr zweiter Erzählband von 1974 endlich auf Deutsch.
Die vorrangig weiblichen Protagonisten reflektieren mit sensibler Intelligenz gescheiterte Affären, lebenslange Ehen, einschneidende Jugenderlebnisse und Entscheidungen, die sie trafen oder auch umgingen. Die Stimmungen der Figuren schwingen durch die Erzählungen und führen zu unerwarteten Bekenntnissen, deren tiefgründige Wahrheit lange im Leser nachhallt. Bevor man erwartungsvoll die nächste Geschichte anfängt, hält man kurz inne, um zu verstehen.
(jw)
Flirrend zwischen Zorn und Versöhnung:
In den dreizehn Erzählungen ihres zweiten Erzählbandes Was ich dir schon immer sagen wollte von 1974, der jetzt erstmals auf Deutsch erscheint, stellt Alice Munro ihre präzise Beobachtungsgabe und den ihr eigenen unprätenziösen Erzählstil, für die sie in unseren Tagen so berühmt ist, unter Beweis. Diese Meisterschaft ließ keinen geringeren als John Updike sie mit Tschechow vergleichen, und Jonathan Franzen greift den Vergleich immer gerne wieder auf, wenn er von Alice Munro schwärmt und sie in seinen Interviews unermüdlich als mögliche nordamerikanische Literaturnobelpreisträgerin ins Spiel bringt.
Flirrend zwischen Hoffnung und Liebe, Zorn und Versöhnung suchen die Schwestern, Mütter, Töchter, Tanten, Großmütter und Freundinnen in diesen Geschichten immer neue Wege, ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart – und das, was sie von der Zukunft zu wissen glauben – auszusöhnen.
»Sowieso die Größte, wenn es um Erzählungen geht. Zwar ist es infam, Munro als ›Frauenschriftstellerin‹ abzutun, andrerseits: Die Frau, die ihren Geschichten nicht verfällt, ist keine echte Leserin. … Am besten, man liest alles, was es von Alice Munro gibt.«
Eva Menasse, Die Welt