In den Supermärkten gibt es kaum Obst, aber teure Zebrasteaks, selbst in der Wirtschaftskrise 2009. Alle stricken wie besessen. Busfahrkarten werden in den Schwimmbädern verkauft. Warum, fragt man sich, ist Literaturwissenschaftlerin Sarah Moss mit ihrer Familie von England dorthin gezogen? Nicht, um "gehörnte Helme aufzusetzen oder aus Totenschädeln Met zu trinken". Sicher nicht wegen der seltsamen Abneigung der Isländer gegen Secondhand und Sperrmüll, was Neuankömmlingen das Beschaffen von Möbeln auf Zeit erschwert. Sarah Moss liebt seit ihrer Kindheit alle schroffen, nördlichen, einst von Wikingern heimgesuchten Inseln. Übrigens werden Banker in Island "räuberische Wikinger" genannt, wie Moss vermerkt, in ihren Auslandsaufenthaltsmemoiren über ein Jahr im Land der Sagas, der vermarkteten Elfen und Flugverkehr behindernden Vulkane. Was ihren Text aus dem Gewolltwitzigen anderer Reiseberichte heraushebt, sind die Reflexionen. Über das Begreifen vor Ort und bleibende Irritationen. Ihre Abwehr gegen den Abschied nach zwölf Monaten. Vor allem auch das zweifache Fremdsein: bei der Ankunft in der Ferne wie bei der Rückkehr in die befremdlich gewordene Heimat.
(jv)
Was ist das für ein Land, in dessen Supermärkten man vergeblich nach frischem Gemüse sucht, dafür aber auf abgepacktes Walfleisch stößt? In dem man Waffen mit an Bord eines Flugzeugs nehmen darf (und sogar fünf Kilo Munition, solange diese in einer anderen Tasche stecken)? In dem das Verkehrsamt ein sagenhaftes unsichtbares Volk befragt, bevor es den Verlauf einer neuen Straße plant? Die Antwort lautet: Island. In dem Jahr, als ganz Europa auf das kleine Land im hohen Norden schaut, weil seine Wirtschaft implodiert und sein (seither berühmtester) Vulkan Eyjafjallajökull explodiert, zieht die Britin Sarah Moss mit ihrem Mann und den zwei kleinen Söhnen nach Reykjavík, wo sie vor allem eins lernt: zu staunen. Über das merkwu?rdige isländische Konsumverhalten, lebensgefährliche Vorfahrtsregeln, über 13 atheistische Weihnachtsmänner, flüssige Lava, kochenden Treibsand, Mondschatten und über Polarlichter, die in den sommers ewig hellen Nächten wie außerirdische Wesen über den Himmel wabern.
Sommerhelle Nächte ist eine geistreiche Reflexion daru?ber, was es bedeutet, fremd zu sein, und eine empathische Erkundung der von extremen Umweltbedingungen geprägten Kultur Islands. Moss' ironische Erzählweise und ihre Gabe, Alltagssituationen zu beobachten und daraus treffsichere Schlüsse sowohl auf die isländische Mentalität wie auch auf sich selbst zu ziehen, machen ihren Reisebericht zu einer ebenso informativen wie kurzweiligen Lektüre.
"Sarah Moss ist eine brillante Erzählerin."
Julia Westlake