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Kai Meyer

Was machen „moderne“ Fantasy-Autoren anders als Tolkien und dessen Nachfolger?

Ich glaube, dass viele Autoren heute mehr Wert auf Charakterisierung legen. Man lockt heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor mit tausend Orks, denn die haben wir schon im Kino gesehen und in fünfzig Büchern getroffen. Letztlich sind es die Charaktere, die den Leser durchs Buch ziehen müssen. Ob sie nun gegen Ungeheuer kämpfen oder einfach nur miteinander reden – es sollte gleichermaßen spannend sein. Und nicht nur die Interaktion untereinander, sondern auch das Innenleben des Einzelnen. Tarik, mein Protagonist in „Die Sturmkönige“, ist zu Anfang ein egoistischer, ausgebrannter Säufer. Und Sabatea, sein weiblicher Gegenwart, ist in erster Linie eine Meisterin der Manipulation. Die beiden schlafen gleich auf den ersten Seiten miteinander, aber das hat nichts mit Liebe zu tun – sie nutzen sich schlichtweg gegenseitig aus. Ich fand es interessant, das an den Anfang zu stellen und daraus über drei Bücher eine echte Liebesgeschichte zu entwickeln. Nur deshalb steht diese Szene an dieser Stelle, so früh im Roman. Sie sagt viel über das Innenleben der beiden aus, und aus ihr entwickle ich wiederum eine Interaktion, die in laufender Wandlung begriffen ist.

Worüber ärgern Sie sich, wenn Sie Fantasy lesen?

Über Einfallslosigkeit. Darüber, dass vieles so langweilig und vorhersehbar geworden ist – und manche Leser das offenbar so wollen. Gefährten, die durch so ein Pseudo-Mittelalter ziehen und die ewig gleichen Gegner haben, den dunklen Herrscher auf seinem dunklen Thron in seinem dunklen Turm. Das war bei Tolkien klasse, bei zwei, drei anderen auch noch gut, aber ich finde, das sollte dann auch reichen. Für mich basiert Fantasy vor allem auf dem Begriff des „sense of wonder“. Das, was jegliche Phantastik ausmacht, ganz gleich, ob Fantasy oder Science-Fiction, ist das Element des Staunens.

Sie übernehmen oft Elemente aus Mythen und Sagen und bedienen sich geschichtlicher Hintergründe. Wie denken Sie sich „Ihre“ Welten aus?

Oft kenne ich den Schauplatz noch vor der eigentlichen Geschichte. Beim „Wolkenvolk“ waren das zu Anfang zwei Szenerien: Die Idee eines Volkes, das auf einer Wolke lebt, kam aus dem klassischen Aha-Erlebnis der ersten Flüge als Kind. Man schaut aus dem Flugzeugfenster und fragt sich, wie es wohl wäre, über diese Wolkenlandschaft zu laufen. Dann wollte ich mal was über das alte China machen, weil das ein Hintergrund für einen Fantasy-Roman ist, den es hier in Europa noch nicht so oft gab. Beides habe ich schließlich zusammengebaut. Für die China-Geschichte brauchte ich, weil ich kein Chinese bin, einen europäischen Blickwinkel. Eine Hauptfigur, der das alte China mit all seinen Mythen und seiner Politik von Grund auf erklärt wird. Nur so kann ich das auch dem Leser erklären. Unter anderem deshalb kommt das Wolkenvolk ursprünglich aus Italien.

Sie schreiben nicht nur Bücher, Drehbücher und Hörspiele, sondern sind auch Co-Autor des Rollenspiels „Engel“. Welches war Ihr erstes Spiel?

Ich habe mit Rollenspielen angefangen, als in Deutschland „Dungeons & Dragons“ und „Das Schwarze Auge“ herauskamen, zu Beginn der 80er Jahre. Als Fantasy-Fan kam ich mir damals ein bisschen vor wie ein Aussätziger. Heute kann man in jedem Dorf eine Rollenspielgruppe zusammentrommeln: „Das ist wie World of Warcraft!“ Damals war es noch richtig harte Arbeit, Leute zu finden, mit denen man so etwas spielen konnte. Ich habe meine Freunde so lange bearbeitet, bis sie mitgemacht haben und es dann plötzlich genauso sehr mochten wie ich – einige sogar noch viel mehr. Zuerst haben wir „Das Schwarze Auge“ gespielt, dann „Call of Cthulhu“.

Spielen Sie heute noch?

Vor ein paar Jahren habe ich versucht, mit ein paar Leuten „Midgard“ zu spielen. Aber der Reiz ist für mich verschwunden, seit ich eigene Geschichten schreibe. Ich bewege mich ja zwischen fünf und zehn Stunden am Tag in einer völlig irrealen Welt. Ich muss nicht mehr würfeln, ob ich mit einem Drachen sprechen darf – ich kann das einfach tun, in meinen Romanen.   

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