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Cornelia Funke

Was unterscheidet die beiden?

Brendan arbeitet extremer mit der Stimme als Rainer – man denkt, da sind 20 Leute im Studio – denn in der englischen Sprache lässt sich viel selbstverständlicher mit Dialekten spielen, ohne dass daraus eine Parodie wird. Außerdem hat Brendan eine extrem ausdrucksvolle Sprechstimme, weshalb ich habe die Figur von Mo auf ihm basiert habe. Rainers Stimme ist ebenso ausdrucksvoll, aber er arbeitet vollkommen anders, da er mit der deutschen Sprache ganz anderes Material vor sich hat. Bei erzählerischen Passagen ist sein Lesen noch ausdrucksvoller als das von Brendan, und beim Dialog arbeitet er anstelle der Akzente mit subtilen Unterschieden im Sprachstil der verschiedenen Figuren. Er bringt all das, was an der deutschen Sprache schön ist, aufs Eindrucksvollste zum Klingen, und gibt dem Ganzen – auch das ist perfekt für die deutsche Sprache – eine wesentlich theatralischere Textur als Brendan.

Rainer sagt, er hätte einige Figuren bei „Tintenblut“ nicht wie gewohnt sprechen können, weil sich die Figuren verändert hätten ...

Ja, ich war so glücklich, als er mir sagte, dass er die Veränderungen wahrgenommen hat. Gerade bei Staubfinger war ich auf die charakterlichen Veränderungen sehr stolz – und wenn er das so gelesen hätte wie zuvor, hätte ich als Schriftstellerin versagt. Das zeigt Rainers Einfühlungsvermögen. Es ist ein Segen, ihn als Sprecher zu haben.

Hast Du Dich auch verändert?

Dramatisch, schon weil ich jetzt mit meinen Kindern wieder alleine bin (ihr Mann Rolf Frahm erlag im März 2006 einem Krebsleiden, Red.). Allerdings habe ich den größten Teil von „Tintentod“ vor der Krankheit meines Mannes geschrieben, so dass der Wechsel nach L.A. und die damit einhergehenden Veränderungen schon vollzogen waren. Somit wird man meine persönlichen Veränderungen wohl erst im übernächsten Buch merken.

Du hast „Tintentod“ auch Los Angeles gewidmet, weil L.A. Dich mit „Schönheit und Wildnis fütterte und mit dem Gefühl, meine Tintenwelt wahrhaftig gefunden zu haben“.

Ja, ich erfahre die Realität unserer Welt in L.A. wesentlich deutlicher als in Hamburg. Hier in L.A. ist viel deutlicher, was nicht stimmt, aber auch, was wunderbar ist. Außerdem kann man Wildnis und Stadt hier gleichzeitig erleben, was ich von keiner anderen Stadt so kenne. Und alles hat immer noch den Geschmack des Unentdeckten für mich, wenn plötzlich ein Kolibri am Fenster auftaucht oder ich die Namen der Bäume und Blumen neu lernen muss ... Deshalb ist dies für mich wirklich wie eine Tintenwelt: Ich bin hineingerutscht und habe Neues über mich selber und noch viel mehr über die Welt herausgefunden. Das verdanke ich diesem sehr bizarren Ort.

Die Begeisterung für die USA gilt bei uns nicht als politisch korrekt. Musst Du Dich oft rechtfertigen, dass Du gerne hier lebst?

Ziemlich oft sogar. Aber was ist das für eine Selbstgerechtigkeit der Deutschen?! Den Menschen hier ist es noch bewusst, dass sie als Gemeinschaft leben und dass sie sich, auch wenn sie sich als Fremde begegnen, besser freundlich behandeln. Es kommt mir in Europa oft so vor, als hätten wir die Tatsache, dass wir immer auch Teil eines Ganzen sind, vergessen. Ich liebe es, dass man hier im Aufzug angelächelt wird und sehr leicht mit jedem ins Gespräch kommt. Es gibt hier eine natürliche Neugier auf den anderen, auch wenn das eben ein Fremder ist. Ich habe hier viel mehr das Gefühl, mit allen anderen auf Augenhöhe zu sein, ob das eine Bedienung im Restaurant, mein Klempner oder mein Gärtner ist – es geht selten um oben oder unten. Hier ist jeder stolz auf das, was er tut. Und ja, trotzdem gibt es auch hier sehr angenehme und sehr unangenehme Menschen, es ist nun mal nichts nur schwarz und weiß, wie die Deutschen es oft so gern hätten.

  • Poolgespräch in Beverly Hills: Cornelia Funke im Gespräch mit hörBücher-Chefredakteur Christian Bärmann. Das Anwesen gehörte zuvor der Schauspielerin Faye Dunaway.

Aber da ist noch George W. Bush ...

Ach ja (sie seufzt leidig), ich werde auch oft gefragt, wie ich hier leben kann, wo doch George W. Bush regiert. Was für eine Verlogenheit! Da haben wir jahrelang in etlichen europäischen Ländern rechte Regime gehabt, einen hohen Anteil an Faschismus, wir hatten die Jugoslawien-Krise, wo die Europäer den Rücken zugedreht haben, wir haben so viele politisch unzumutbare Situationen in Europa – aber wir zeigen bloß mit dem Finger auf die bösen Amerikaner, damit wir endlich wieder die Guten spielen können. Die Welt ist nun mal nicht so einfach gestrickt. Wer auf die Amerikaner zeigt, betreibt Pharisäertum in Reinkultur. Und die Amerikaner selbst leiden ohnehin am meisten unter ihrem Präsidenten, denn er übt sich ja keineswegs nur im Ausland in der Kunst der Zerstörung. Also- zurzeit kann ich mir trotzt George Bush nicht vorstellen, nach Deutschland zurückzuziehen.

Gab es nach dem Tod Deines Mannes diese Überlegung?

Nein. Wir waren 26 Jahre lang verheiratet, 24 Stunden am Tag zusammen, doch das letzte Jahr hier in Kalifornien war das Schönste. Das Verrückte ist: Rolf hat immer gesagt, dass er 100 Jahre alt wird. Aber vor fünf Jahren meinte er: „Wenn wir das mit Kalifornien machen wollen, dann jetzt – wer weiß, wie alt ich werde.“ Gott sei Dank haben wir es gemacht. Carpe Diem. Das habe ich auch allen Freunden gesagt: Wenn ihr das Gefühl habt, ihr müsst etwas machen, macht es jetzt, denn ihr wisst nicht, wie lange ihr da seid. Die Frage der Rückkehr hat sich nie gestellt. Die meisten der Freunde, die mir durch diese Zeit geholfen haben, leben hier. Ich habe gelernt, dass die Amerikaner den Tod auf sehr pragmatische Weise als Teil des Lebens akzeptieren und sofort sehr praktische Hilfe anbieten. Wir Europäer sind in solchen Situationen oft hilflos und ziehen uns eher zurück. In dieser Zeit habe ich gemerkt: Wenn sich ein Ort in so einer Zeit bewährt, dann ist es der richtige Ort. Jeden einzelnen Tag werde ich hier wach und freue mich aufs Leben. Und sollte ich hier tot umfallen, kann ich mir sagen: So intensiv, wie ich hier gelebt habe, kann ich mich über nichts beschweren.

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