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Botschaften aus Babel: Ina Pfitzner (ipf)

Pulphead übersetzen

Einmal Amerika und zurück

Pulphead lesen ist nichts für Unbedarfte, Pulphead übersetzen erst recht nicht. John Jeremiah Sullivans Essays führen mitten ins (pop)-kulturelle Herz der USA, und von dort gilt es, sie ins Deutsche zu bringen. Eine kleine Übersetzungskritik.

Pulphead sagt dem deutschen Leser bestenfalls vage etwas, deutet aber an, was kommt: ein spannender Wirbelwind aus christlichem Rock, Tea Party, Popmusik, Botanik, Disney, Literatur, Höhlen, Fernsehen. Weil es aber nicht nur manches Geschilderte, sondern auch diese Form des Essays so bei uns nicht gibt, haben wir eigentlich keine Sprache dafür. Die Übersetzung muss trotzdem eine (er)finden, und das tut sie auch.
Etwas Englisch oder Denglisch sollte der Leser allerdings mitbringen. Damit sie zum Beispiel den Essaytitel „Auf diesen Rock will ich meine Kirche bauen“ vergnüglich schätzen kann, eigentlich ein Wortspiel aus dem Bibelzitat „auf diesen Felsen will ich ... “ und der (christlichen) Rockmusik. Anderes bleibt Englisch: die Parole I don’t dig Barack (dig – graben; mögen); disneyen als Verb wird neu importiert; für prewar wonks steht mit Vorkriegs-Nerds ein leicht veränderter Anglizismus. Anderes wird vorbildlich erklärt: so das Wortspiel mit dem pipe dream oder die roaches, die nicht nur Reggae-Musiker rauchen. Doch das wörtlich genommene spezifisch Campe dieser Schlechtheit ist wiederum selbst mit Susan Sontags Essay im Kopf kaum verständlich.
Wunderbar sind die kleinen Wunder zwischen den Sprachen: dass des Franzosen Rafinesques Verwechslung von fühlen/füllen und lieben/leben auch im Deutschen funktioniert, oder wenn Amerikanisches tief in unser Deutsches geholt wird, mit Fontane: der Ozean ist ein weites Feld oder dem Luther würdigen, was kreucht und fleucht. Einige Dauerbrennerprobleme harren noch der rundum gelungenen Lösung: Was macht man mit all-American (hier: grundamerikanisch-sympathisch), was mit charting oder mapping (hier: Kartierung) oder formative years (hier: prägende Jahre)? Und wenn man den racially ambiguous (etwa: nicht eindeutig einer Rasse zuzuordnenden) Typen der Reality-Show mit Mischling übersetzt, dann muss auch auf die vielen Nazi-Fallen der deutschen Sprache gefasst sein. Merken werde ich mir das vorzügliche Ha, reingefallen! für Psych!

Überhaupt sprudelt es von inspirierten Lösungen: Empörungspanzer, Lücke im Tussenspalier, Tentakeltasten und Rankenragen, Arbeitsplatzwabe im Großraumbüro, unselige Tattoos, Möglichkeitsgebilde sacken lassen, bespritznebeln, etwas verstaubt Gehrock-haftes. Zum Verlieben, Weitersagen, Einbürgern!

Bilder oder knackige Slangausdrücke sind nicht immer zu retten oder müssen anderswo aufgefangen werden. Doch manchmal kommt die Übersetzung zu umgangssprachlich daher, engt regional und der Generation nach ein, wo das Original sprachlich anspruchsvoll und neutral ist, mit umgangssprachlichen Einsprengseln. Herrentitten für man-breasts denunziert das Katrina-Opfer, und Kippen für cigarettes, Schleimscheißer statt Schleimer, darauf können Sie einen lassen, wo da können Sie Gift drauf nehmen gereicht hätte, sind etwas lax. Gelegentlich wird es unvermittelt süddeutsch, bei den Eichkatzenaugen (gemeint sind Eichhörnchen) oder Wohnwägen etwa.

Ein paar klitzekleine Vorschläge für die nächste Auflage hätte ich noch. Vor allem aber habe ich jede Menge gelernt. Bravo!

Mehr über Pulphead, New Orleans und anderes auf meinem Blog lagniappestudies.blogspot.de.

John Jeremiah Sullivan: Pulphead. Vom Ende Amerikas. Übersetzt von Thomas Pletzinger, Kirsten Riesselmann. Suhrkamp, 416 Seiten, 20 Euro

John Jeremiah Sullivan: Pulphead. Essays. Farrar, Straus and Giroux, 384 Seiten, 16 Dollar

John Jeremiah Sullivan: Pulphead. Dispatches from the Other Side of America. Vintage, 416 Seiten, 9,99 Pfund

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