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Fotos: Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Botschaft aus Babel

Es grünt so grün…

Wer legt den Helden in französischen Operetten, amerikanischen Musicals und italienischen Opern die deutschen Worte in den Mund? Und wie? Ein Blick hinter die Kulissen.

Ein Artikel aus BÜCHERmagazin 2/2015 von Ina Pfitzner 
 
Der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle will Professor Henry Higgins mit „The rain in Spain stays mainly in the plain!“ ihr Cockney-Englisch austreiben: Spejn statt Spajn, reijn statt rajn usw. Auf Deutsch geht es stattdessen ums Zille-Berlinische, j statt g und i statt ü, und so klingt bei „Es grünt so grün“ Spanien zwar nur an, aber die Assonanzen sind mindestens ebenso schön, und als Ausspracheübung funktioniert es prima. 
Nicht umsonst ist „My Fair Lady“ auf Deutsch ein Klassiker: „Wart’s nur ab, Henry Higgins“, „Ich hätt’ getanzt heut Nacht“, „Warum kann eine Frau nicht sein wie ein Mann“ … sind tolle Melodien mit Witz. Es ist der Witz von Robert Gilbert, dem wir auch „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn“ und die Lieder „Im weißen Rößl“ verdanken („Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist …“). 
An der Komischen Oper Berlin, wo man aus Prinzip fast nur auf Deutsch spielt und die deutschen Verfasser immer genannt werden, kommen meist neuere Übersetzungen auf die Bühne. Hat man früher alles nicht Jugendfreie oder irgendwie Freche geglättet, so nimmt man heute Musik und Text gleichermaßen wichtig – selbst in der Oper, wo nämlich „zu der schönen Musik nicht nur gehofft, geliebt, gelitten und geträumt, sondern auch gelogen, geschachert, geflucht und gestorben wird“, so Bettina Bartz. Schon seit 1985 übersetzen die Dramaturgen Bettina Bartz und Werner Hintze als Autoren-Duo auch für die Komische Oper, und trotzdem schreiben sie mir: „Wir lernen mit jeder Oper dazu.“ Neben Einfühlungsvermögen und Sprachgefühl braucht es natürlich Musikalität und Wissen über theatralische Wirkungsmöglichkeiten. Der deutsche Text sollte möglichst originalgetreu, aber gut singbar sein, exakt zu Metrum und Rhythmus der Komposition passen, und das alles in schönem Deutsch – ohne veraltete Wörter oder verdrehte Satzkonstruktionen. Die fertige Fassung wird mit den Dirigenten und Sängern überprüft und oft noch auf der Probe verändert. Manche Sänger wünschen auf die hohen Töne bestimmte Vokale wie a oder e, und bei ausländischen Sängern verzichtet man lieber auf Umlaute wie ö oder ü, wenn sie damit Schwierigkeiten haben. Bei Vivace-Tempi können Konsonantenhäufungen problematisch sein, und dann macht man vielleicht aus „nichts überstürzen“ etwas wie „nur keine Eile“. Sprichwörtlich gewordene Textpassagen („Reich mir die Hand, mein Leben“ aus Hermann Levis Fassung von Don Giovanni) lässt man auch gern stehen.
An der Komischen Oper lief im November 2014 auch die „West Side Story“ (großes Bild) mit den Dialogtexten der Neufassung von Musiktheaterregisseur Nico Rabenald (gemeinsam mit Frank Thannhäuser), der mir auch ein wenig berichtet hat. Hierfür mussten sich die Übersetzer nicht nur in die Rollen hineinversetzen (Wie würde die Figur das ausdrücken?) und jedes Wort zählen, weil das Deutsche meist ein paar Silben mehr braucht, sondern im Auftrag des Verlags sollte für diese neue, frischere Übersetzung nur Vokabular der 50er-Jahre verwendet werden, und die Autoren mussten extra nach London fahren und einen ganzen Fragenkatalog beantworten. 
Das Besondere am Musiktheater-Übersetzen: Man sitzt mit der Partitur am Klavier oder vor dem CD-Spieler und – singt. „Jede Phrase, die man getextet hat, muss man auch selbst singen, um zu prüfen, ob sie ‚klingt‘“, schreibt Werner Hintze. Bettina Bartz singt „… in der Straßenbahn, in der Kaufhalle, unter der Dusche – überallhin nehme ich das Stück mit, an dem ich gerade arbeite.“ Auch Nico Rabenald tut es, „aber hoffentlich hört niemand zu.“
Ich sehe mir übrigens bald „Die schöne Helena“ von Jacques Offenbach an, Deutsch von Simon Werle. Und wann gehen Sie mal wieder in die (Komische) Oper?
 
Ina Pfitzner arbeitet als Übersetzerin, sie hat längere Zeit in Louisiana gelebt und dort promoviert. Zuletzt übersetzte sie „Aristoteles in Oxford“ von John Freely (Klett-Cotta) ins Deutsche.
 

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