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Fotos: Ina Pfitzner

Botschaft aus Babel

New Orleans übersetzen

Romantisch und geheimnisvoll-gruselig, so kennt man New Orleans – ein toller Schauplatz für Voodoo-, Vampir- und Verbrecherromane. Aber was die Stadt wirklich ausmacht, lässt sich nicht so einfach ins Deutsche bringen.  

Ein Artikel aus BÜCHERmagazin 4/2015 von Ina Pfitzner 
 
Seit New Orleans nach Hurrikan Katrina 2005 tagelang unter Wasser stand, weiß man nicht nur, dass es Nju Orrrliens ausgesprochen wird, auch die Frequenz der Filme, Serien und Romane hat exponentiell zugenommen, und New Orleans ist hip geworden. 
Schon wenn Auswärtige über die Stadt schreiben, kann allerhand schiefgehen, denn es gibt so viel mehr als Jazz, Sümpfe und Ausschweifungen. Umso schwieriger ist es aber für die Übersetzer, denn selbst wenn sie aus der Ferne die eventuellen Fallstricke erkennen, müssen sie immer noch eine deutsche Lösung finden. 
Das beginnt bei den Beinamen für New Orleans: Ist The Big Easy nun die große Leichtigkeit oder, wie der Filmtitel, Der große Leichtsinn? Was macht man mit dem eingebürgerten Crescent City? Halbmondstadt hat einen arabischen Anflug. Croissant-Stadt geht auch nicht, denn die gibt’s in der Boulangerie auf der Magazine Street. Also vielleicht doch auf Englisch lassen und als Mondsichelstadt erklären …
Manches kennt man inzwischen auf Deutsch: bayou bleibt Bayou und Mardi Gras bleibt Mardi Gras, und auch das French Quarter sollte genau oder mit seinem französischen Namen Vieux Carré benannt werden. Anderes muss man nachschlagen: zum Beispiel, dass in Louisiana parishes nicht nur Kirchengemeinden, sondern auch Landkreise sind. 
Dann gibt es die Ermessensfragen: Moskitos oder Mücken? (Weil sie genauso vertraut piesacken wie hier, heißen sie bei mir Mücken.) Sind es Pinien oder Kiefern? (Vielleicht so: im Sumpf Pinien, am Golf von Mexiko Kiefern, obwohl es laut Wahrig nur im Mediterranen Pinien gibt.) Sollte man louisianische live oaks wirklich Virginia-Eichen nennen und Spanish moss Louisianamoos, wie es im Wörterbuch steht? (Bei mir heißen sie Lebenseichen und Spanischmoos, um ein Fünkchen des Originals zu bewahren.)
Zur legendären Esskultur von New Orleans gehört Gumbo – eine mit dunkler Mehlschwitze angedickte, scharfe Suppe mit Okraschoten, Fleisch und vielen anderen Zutaten. Wie Okra ist auch der Name Gumbo afrikanischen Ursprungs, und es ist so viel mehr als nur ein Gericht: Es steht für den besonderen Schmelztiegel New Orleans, mit seinen afrikanischen, karibischen, französischen und vielen anderen Einflüssen. Eintopf mag die knappste Beschreibung dafür sein, aber das Hybride, das für New Orleans so typisch ist, die ganze Feinheit und Würze in einen so urdeutschen Begriff zu zwängen, das funktioniert irgendwie nicht.
Neben den europäischen und den afrikanischstämmigen Kreolen gibt es in Louisiana die Cajuns, die als Nachfahren französischer Einwanderer im 18. Jahrhundert von den Engländern aus Kanada vertrieben wurden. Ihr besonderes, archaisches Französisch wird im Alltag kaum noch gesprochen, aber die Kultur ist noch sehr lebendig. Nur leben die Cajuns auf dem Land und eben nicht in New Orleans, auch wenn James Lee Burkes Detektiv Dave Robicheaux immer wieder dort ermittelt. So sollte man keinem Cajun und auch nicht den Bewohnern von New Orleans im Deutschen einen französischen Akzent unterjubeln, wie es manchmal geschieht. Und das Wort Coonass hat nichts mit dem Hinterteil eines coon (von raccoon, also Waschbär) zu tun, was äußerst abwertend für einen Afroamerikaner ist, sondern ist vielmehr abwertend bzw. eine ironische Selbstbezeichnung für einen Cajun. 
Als Lagniappe noch das Wort Lagniappe, sprich Lähnjapp. Es bedeutet „Dreingabe“ und ist sozusagen ein Leckerli, meist kulinarisch oder sinnlich, wie der Bonbon, den es im Süßwarengeschäft beim Kauf noch dazugibt. Es ist nicht etwa „Cajun English“, sondern wird in ganz Louisiana verwendet und stammt aus dem amerikanischen Spanisch. Damit enthält es gleich fast die gesamte Geschichte: Louisiana war nämlich lange Zeit französische Kolonie und wurde kurzzeitig von Spanien regiert, bevor Napoleon es 1803 an die Amerikaner verkaufte. Mein Rat an New-Orleans-Übersetzer: Laissez les bons temps rouler! (Lasst die guten Zeiten rollen!) 
 
Ina Pfitzner ist Übersetzerin und hat in Louisiana gelebt und promoviert. Sie übersetzt Sachbücher, Memoiren, Comics sowie für den National Geographic.
 
New-Orleans-Übersetzungen Lesen:
 
James Lee Burke: Sturm über New Orleans, übersetzt von Georg Schmidt, Pendragon, 576 Seiten, 17,99 Euro, als E-Book erhältlich
 
Laura Lane McNeal: Das Haus am Mississippi River, übersetzt von Irene Eisenhut, Heyne (2014), 448 Seiten, 9,90 Euro, als E-Book erhältlich
 
Nicholas Christopher: Tiger Rag, übersetzt von Pociao, dtv (2014), 320 Seiten, 14,90 Euro, als E-Book erhältlich
 

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