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Botschaften aus Babel: Ina Pfitzner (ipf)

Über den eigenen Sprachrand hinaus

Die Lyrikerin Uljana Wolf arbeitet und lebt zwischen den Sprachen. Schreiben, übersetzen sind für sie politisch. 

Was kann Lyrik?

Grenzen öffnen, Membrane durchlässig machen, wie Übersetzungen auch. Neue Sichtweisen eröffnen, neue Möglichkeiten für das Handeln – nicht nur Sprachhandeln – auf den Weg geben. Sie kann einfach schön sein, kann verstören. Für mich ist die Entgrenzung wichtig und die Arbeit an den Rändern – Dezentralisierung, Fragwürdigmachen von Wirklichkeit.

Was kann Lyrik in Übersetzung?

Über den eigenen Sprachrand, den kulturellen Rand hinausschauen. Es ist nicht nur der Impuls etwas zu übersetzen, weil Übersetzen die intensivste Form des Lesens ist, weil man es anderen Lesern unbedingt vorstellen möchte, sondern es ist auch für die eigene Sprache wichtig. Beim Übersetzen kann man Dinge ausprobieren, die andere machen, den eigenen Sprachhorizont erweitern, neue Ausdrucksformen, neue Tricks finden, auf die man selbst nicht kommen würde.

Deine Gedichte bewegen sich zwischen den Sprachen.

kochanie ich habe Brot gekauft setzt sich mit dem Polnischen auseinander, aber das ist punktuell; das Deutsche bleibt relativ intakt. Bei falsche freunde prallen die Sprachen aufeinander, führen miteinander „kleine Theater“ auf, wie es bei Erin Mouré heißt, die ich übersetze. Es entstehen immer wieder kleine Sprachszenen, wo wir über die Sprache als Akteur kleine Situationen erleben. Durch die Begegnung der Sprache mit der anderen entsteht eine große Durchlässigkeit.

Wie ist es, selbst übersetzt zu werden?

Bei falsche freunde wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass die Übersetzung die Chance auf ein neues Gedicht ist. Da einige der Gedichte unübersetzbar sind, habe ich der Übersetzerin Susan Bernofsky allen Freiraum gelassen und gesagt: Finde du dein Spiel und mach was draus. Das setzt Vertrauen in den Übersetzer voraus; man muss loslassen lernen. Das ist die größte Chance von Lyrikübersetzung, dass man die Übersetzung als zweites Original sieht, als Neuschöpfung, als Update, als Weiterschreiben.

Ein Gedicht schreibt in doppelter Weise eine Form für die Übersetzung vor.

Auch da steht nichts fest. Man erweist dem Gedicht nicht immer einen Dienst, wenn man den Reim mit übersetzt, wie bei slawischen Sprachen, wo wegen der Adjektivendung der Endreim ganz natürlich ist. Auf Deutsch wäre das sehr aufwendig und gibt vielleicht gar nicht wieder, was die Form im Original repräsentiert. Auch bei der Verteilung des Semantischen über die Zeilen entscheide ich immer wieder neu. Letztendlich kommt es darauf an, welchen Ariadnefaden durch das Gedicht man am wichtigsten findet. Eigentlich entscheidet jedes Gedicht neu, wie man übersetzt.

Kann man aus Sprachen übersetzen, die man nicht spricht?

Man kann eine Nachdichtung anfertigen, wenn man eine Interlinearübersetzung hat und mit jemandem, der der Sprache mächtig ist, vielleicht sogar dem Autor, kommunizieren kann. Bei Sprachen aus einem völlig anderen Kulturkreis ist das eine radikale Form der Neuschreibung. Ich habe einmal eine arabische Lyrikerin übersetzt, da bin ich an meine Grenzen gestoßen, weil ihre Metaphernsprache, ins Deutsche gebracht, nah am Klischee war, weil man die klassischen Tropen der arabischen Liebeslyrik, auf die sie sich berief, wohl ganz anders hätte darstellen müssen. Inzwischen finde ich aber auch jedes Mistranslation-Projekt spannend.

Wie gehen Schreiben und Übersetzen zusammen?

Das eine ist die Auseinandersetzung mit dem Übersetzen als Dichterin, wo das Schreiben schon eine Art Übersetzungspoetik geworden ist, wo es oft darum geht, Sprachen infrage zu stellen. Das ist auch ein politisches Projekt, weil viele Menschen durch die Mehrsprachigkeit im Alltag ihre Identität ein bisschen angebissen sehen. Diese Verunsicherung herzustellen und auszuüben, finde ich wichtig – gerade in Europa, gerade mit dem Reflex des Nationalismus. Ob mein Buch das leisten kann, ist eine andere Frage, aber für mich ist das ein Beweggrund. Als Übersetzerin, die Aufträge bekommt, habe ich ein ganz pragmatisches Verhältnis zum Übersetzen. Ich habe eine Berufsverantwortlichkeit gegenüber Autoren und deren Texten. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Polen empfinde ich als sehr produktiv.

 

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