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Die Schönsten Liebesromane: Jeanne Wellnitz (jw)

Die Furcht vor dem Glück und die Notwendigkeit, sie zu überwinden

Alain de Botton: Versuch über die Liebe

Chloes Anblick und das Gefühl, „zu sterben“, wenn er sie nicht wieder sieht, bringen de Bottons analytischen Helden dazu, an die Liebe zu glauben, anstatt sie zu widerlegen. Aber hinterfragen muss er sie trotzdem und wird sich dabei dem bitter-süßen Sog intensiver Emotionen nicht entziehen können.

Ein Flug von Paris nach London verändert alles. Der namenlose Ich-Erzähler startet „ohne jeden Gedanken an eine Liebe oder Geschichte“ in diesen Dezembertag. Als er in London landet, ist er unwiderruflich in seine Sitznachbarin Chloe verliebt. Mit der plötzlichen Zuneigung beginnen auch seine philosophischen Betrachtungen über diese „Ladung von romantischer Selbsttäuschung und semantischer Ungenauigkeit“. In 24 minutiös durchdachten Kapiteln entfaltet der verliebte Held seine sensibel nuancierten Erkenntnisse über Himmel und Hölle dieser beginnenden Liebesbeziehung.

Eine Woche später folgt der berauschte Ich-Erzähler der „absoluten Notwendigkeit“ mit Chloe zusammen zu sein und initiiert ein Wiedersehen. Aufgeregt sinniert er über das „verwundbare gesprochene Wort“, das vieles ermöglichen oder alles vernichten kann. Er berichtet voller Hingabe von ihrer ersten Verabredung und seinem Bemühen, für Chloe eine andere – zu ihr passende! – Persönlichkeit anzunehmen (3. „Der Subtext der Verführung“). Bevor er damit anfangen kann, stellt er jedoch fest, dass er jede „Fähigkeit zu sprechen eingebüßt hatte“. Sie ist schließlich die ganze letzte Woche sein einziger Gedanke gewesen. Die Gespräche gehen verschlungene Pfade: „man“ ersetzt „ich“, aktiv wird passiv und all das, um die „persönliche Beteiligung“ möglichst klein zu halten. Vereinnahmendes Begehren wird hier durch die Angst vor Zurückweisung gebremst. Die Verführung klappt aber trotzdem.

Oscar Wilde, Montaigne, Kant und Nietzsche sind in Gedanken immer dabei, doch ist der „Philosoph im Schlafzimmer hier eine ebenso komische Figur wie der Philosoph im Nachtclub”. Ab jetzt zählt Sinnlichkeit. Der verführende Protagonist kann sein „Tages- und Nachtwissen“ über Chloes Körper allerdings nicht so schnell in Einklang bringen (5. Geist und Körper“). Chloe geht sofort auf ihn ein und beide betreten einen Raum „jenseits aller erinnerten Zeit, komprimiert und doch expansiv, kaleidoskopisch, polymorph“ und – beängstigend, aber unumgänglich – „überaus sterblich“.

Im nächsten Kapitel treten dann ganz andere Probleme auf: Was geschieht, wenn Chloe seine Liebe erwidert? Das hatte er ja völlig außer Acht gelassen! Ein Streit um Erdbeermarmelade wird provoziert und führt den verunsicherten Erzähler direkt in einen Gedankenstrom um unerwartet erfüllte Bedürfnisse und den Wunsch, diese zu zerschlagen. Nachdem er auch diese Hürde genommen hat, kämpft sich der Held durch die Schwierigkeiten, eine Liebeserklärung zu liefern, die nicht schon von den Medien „verhackstückt“ wurde, entlarvt die Liebe als (wundervolle) Täuschung, genießt die verzaubernde Kraft des Zusammenseins ohne Außenwelt (13. „Intimität“), entdeckt den Reiz der unbekannten Frau (15. „Vom Aussetzen des Herzens“) und ahnt, wie man dem entgehen kann (16. „Die Furcht vor dem Glück“). 

Mitten in diesem erfrischenden Spaziergang durch die angenehm-tiefgründigen Gedankengänge des Helden wird der amüsierte Leser plötzlich gestoppt: „Die Zeichen des Todes waren überall und warteten darauf, gelesen zu werden.“ Stärke mutiert zu Schwäche. Doch trotz dieser tragischen Entwicklung verlieren die „Liebeslehren“, die der Held daraus zieht, keineswegs ihre charmante Leichtigkeit.

Wie de Botton ihr Leben verändern kann? „Versuch über die Liebe“ hilft allen, die mit der Liebe glücklich oder unglücklich sind, und steht für eine – zugegeben, klischeehafte – doch deshalb nicht minder wahre Botschaft: Die Liebe kann man nicht ignorieren und der Wille, sie zu leben, sollte unbesiegbar sein.

Alain de Botton: Versuch über die Liebe. Übersetzt von Helmut Frielinghaus. Fischer, 296 Seiten, 8,90 Euro

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