Sándor Márai: Wandlung einer Ehe
„Wandlungen einer Ehe“ erzählt in drei meisterhaft geschriebenen Monologen die Geschichte vom „Irrtum der Liebe“. Ilonka und Péter, situiertes Ehepaar sowie Judit, Péters Dienstmädchen, schildern ergreifend ihre Sicht auf diese fatale Ménage à trois.
Er ist im ganzen Universum das einzige Menschenphantom, nach dessen Hand ich noch greifen kann, da nun das Haus über meinem Kopf und die ganze Welt einzustürzen drohen.“ Sándor Márai spricht in diesem Tagebucheintrag von Goethe, dessen Werk ihm während des Zweiten Weltkriegs Trost spendete. Entsetzt über den deutschen Faschismus und die Machtausweitung der ungarischen nationalsozialistischen Partei „Die Pfeilkreuzler“ erklärte Márai 1944 öffentlich, keine einzige Zeile mehr zu publizieren. Es wurde sehr still um den prominenten Autor, der Stimme Ungarns.
Nach Kriegsende trieb die Verstaatlichung des ungarischen Kulturlebens Márai ins italienische Exil. Seine oftmals autobiografisch geprägten Romane und kritischen Beiträge veröffentlichte er bis zu seinem Freitod nur noch im Ausland. Márai verbrachte den Großteil seines Lebens außerhalb seines Heimatlandes. Liebevoll bezeichnete ihn sein langjähriger Freund und Schriftstellerkollege Tibor Simányi als einen „immerwährenden Emigranten“, der „dem Hochadel der Literatur“ angehöre.
Die Neuauflage seines Romans „Die Glut“ wurde zehn Jahre nach Márais Tod die Sensation auf der Frankfurter Buchmesse. Es ist der erste Roman der neuen Márai-Edition, die ihn posthum zum gefeierten, „großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts“ machte und die Rezeption seines Werkes in Deutschland aufblühen ließ. Auch „Wandlungen einer Ehe“ wurde 2004 in einer Neuübersetzung wieder verlegt. Ilonka und ihr Mann Péter sowie seine erste große Liebe, Judit, erzählen in diesem Liebesroman rückblickend von ihrer tragischen Geschichte über Liebe und Betrug.
„Sieht man, dass ich geweint habe?“, fragt Ilonka ihre Schulfreundin. Zufällig haben sie in einer Konditorei ihren Exmann Péter gesehen. Zehn Jahre sind seit der Trennung vergangen und Ilonka kämpft noch immer mit seelischen Schmerzen, wenn sie Péter erblickt. Sie beginnt, von ihrer gescheiterten Ehe zu erzählen. Eine Beziehung, die funktionierte, wenn auch ohne große innere Beteiligung ihres kühlen und in serviler Höflichkeit verharrenden Mannes. Als sie ein violettes Band in seiner Brieftasche findet, ahnt sie voller Grauen, was ihr nun bevorsteht. Sie begibt sich auf die Suche nach jener, mit der sie „etwas auszutragen hatte“ und wird fündig.
Im zweiten Teil kommt Péter zu Wort. Er erzählt von der Ehe mit seiner „sorgfältig erzogenen“ Frau, die Bildung als „strenge Lektion“ erfuhr. Ilonka sei nicht seine erste Wahl gewesen – er habe „mit zwei Frauen experimentiert, voll und ganz, auf Leben und Tod.“ Seine Kindheit habe er in einem Hause verbracht, in dem niemand den anderen zu lieben wagte. Seine Eltern erzogen ihn, als würden sie ein „unpersönliches Ritual“ zelebrieren, bekennt er bitter. Als jedoch die 16-jährige Judit Áldozó als Dienstmädchen in sein Elternhaus kommt, wird sie zur Gefahr für sein bürgerlich-geordnetes Leben. Sie war „wild entschlossen schön, ein Meisterstreich des Schöpfers, etwas, das man nur einmal so vollkommen zu gestalten und in eine Form zu gießen vermag.“ Eine Frau wie ein Versprechen.
Der letzte Teil des Romans, Judits leidenschaftlicher Monolog, überrascht dann mit einer völlig anderen Einschätzung der Gefühle und Ereignisse. Die verschiedenen, subjektiven Sichtweisen der Protagonisten vervollständigen sich zu einer ergreifenden Erzählung über Desillusion, Schmerz und Verlust.
In diesen tiefsinnigen, sanft-poetischen Texten kommen die analytischen Gedanken der Figuren und Márais virtuose Sprachkunst wunderbar zur Entfaltung. „Wandlungen einer Ehe“ erzählt von dem Bedürfnis nach wahrer, rettender Liebe in einer Zeit, in der die Welt durch zwei Weltkriege aus den Fugen geraten zu sein scheint. Auch, wenn die Figuren im Roman an ihren Lügen und Leidenschaften verzweifeln, ist es beruhigend zu wissen, dass der Autor im wahren Leben in seiner Ehefrau Lola eine Gefährtin für 63 gemeinsame Ehejahre gefunden hatte.
Sándor Márai: Wandlungen einer Ehe. Übersetzt von Christiane Viragh, Piper, 461 Seiten, 10,99 Euro