Jump to Navigation

Natürlichkeit vs. Künstlichkeit

Aufs Dorf ziehen, sich an einem Leben im Einklang mit der Natur erfreuen. Was ist dran am Traum vom Leben zwischen Hühnerstall und Gemüsebeet? Zwei Frauen zogen raus und schrieben ein Buch über ihre Erfahrungen. Ihre unterschiedlichen Ansätze werden schon an der Covergestaltung sichtbar.

Aufregende Eintönigkeit

Hilal Sezgin wollte es wissen: Nachdem sie nahezu ihr gesamtes bisheriges Leben in Frankfurt verbracht hatte, zog sie in ein typisch norddeutsches Backsteinhaus am Rande eines 500-Seelen-Dorfes in der Lüneburger Heide. Viele Freunde kommentierten diesen Schritt mit Mut, sie selbst nannte es Ahnungslosigkeit. Und so wagte die einstige Stubenhockerin den Schritt, machte sich mit Sack und Pack auf und ließ sich mit Haut und Haar ein auf das Abenteuer Landleben.

Ähnlich konsequent wie die Entscheidung der Autorin für ihr Leben fällt die des Verlages für die Umschlaggestaltung aus. Beim Motiv hat man sich jenseits des herkömmlichen Misthaufen-, Hühnerstall- und Bauerngarten-Bilderallerleis für eine grüne Weidewiese entschieden, die den kompletten Einband von der Umschlagseite 1 über den Buchrücken bis zur Umschlagseite 4 umspannt. Im Fokus steht dabei der radikal beschnittene Bildausschnitt auf der Umschlagvorderseite: Hier sind die Vorderbeine eines Tieres, vermutlich eines Schafs, neben den „gülleresistent“ bestiefelten Beinen eines Menschen, vermutlich der Autorin, zu sehen – ein gleichberechtigtes Nebeneinander, das überzeugt.

Bildschärfe, Schriftbild und -farbigkeit lenken den Blick potenzieller Leser: Er bewegt sich vom scharfen Bildvorder- zum unscharfen Bildhintergrund, von dort zurück über die linksbündig gesetzten Zeilen für Autorennamen, Titel und Untertitel in der Schrift DIN, die auch für die Beschriftung von Ortseingangschildern verwendet wird. Das Gelb dieser Schilder taucht auch im Autoren- und Verlagsnamen auf (und sind nicht auch die Stiefelsohlen gelb?), während Titel und Untertitel auf das Weiß der Gänseblümchen am vorderen Bildrand (und auf das Tierfell?) referieren. Die Parallelen zum Landleben sind greifbar. Die auf Authentizität basierenden subtilen Eingriffe machen aus einem relativ unspektakulären Motiv einen Hingucker, dessen Spannungsbogen sich aus dem Spiel von Oberfläche und Tiefe ergibt. Das fesselt den Blick, macht Spaß und überzeugt – dieses Buch nimmt seine Leser ernst!
 
Hilal Sezgin: Landleben. Von einer, die raus zog. DuMont, 272 Seiten, 19,90 Euro

Wochenenden mit potemkinschem Dorfleben

Weniger subtil und spannend fällt die Umschlaggestaltung beim Titel „Schöner Mist“ aus. Titelkonform als humorvoller Eyecatcher konzipiert, zerfällt das Covermotiv nach einem ersten amüsierten Blick in seine Bestandteile. Alles an diesem Umschlag wirkt grob geschnitzt und zusammengebastelt: die Komponenten Fotografie und Illustration, die hysterisch anmutende Dreiklangdominanz der völlig überzeichneten Farben Rot, Grün und Braun-Beige, der in der oberen Hälfte gnadenlos in einem weißen Farbbalken über das Covermotiv gesetzte Kasten mit mittig platzierter Standardschrift für Autorenname, Titel und Untertitel – das alles macht keinen Hehl daraus, dass der Spontankauf das ausschlaggebende Kriterium dieser Gestaltung ist.

Im kulissenhaften Bildraum, dem jegliche Tiefe fehlt, trifft eine „kopflose“ Städterin, die sich als solche im „Manufactum“-Outfit und mit Armschmuck an der Spatenhand zu erkennen gibt, auf Flora und Fauna des Landlebens – in Form eines gezeichneten Huhns, eines klinisch reinen, in das Bild montierten realen Supermarkt-Eis und einer Grünfläche, auf der nichts wächst, außer einigen spärlich gezeichneten Grashalmen. Einen Topfblumenwurzelballen in der einen und einen unberührten Spaten in der anderen Hand konfrontiert diese „Landarbeiterin“ den Betrachter mit Zerrissenheit und Unschlüssigkeit.

Darin spiegelt sich die Hysterie der Autorin Irmgard Hochreither, die sich am Wochenende einiges zutraut. Es greift deren Doppelleben als „Stadtneurotikerin“ und „Teilzeit-Landei“ auf und ihre Befremdung, mit der sie den kleinen, ihrem Mann geschuldeten Wochenendfluchten „in ein Rundlingsdorf im Wendland“ begegnet. Darüber hatte sie bereits zwischen Juni 2009 und April 2010 in ihrem Blog „Stadt.Land.Lust“ auf stern.de berichtet, aus dem sich das Buch speist. Das Klatschkolumnistische ist somit gewollt, inhaltliche Tiefe war nie Ziel des Schreibens und spiegelt sich folglich auch nicht in der Umschlaggestaltung. Über die Notwendigkeit solcher Bücher mag man streiten – Inhalt und Form jedenfalls gehen hier zusammen.
 
Irmgard Hochreither: Schöner Mist. Mein Leben als Landei. Ullstein TB, 208 Seiten, 8,95 Euro
 

Themenwelten

Senioren, Greise, Silver Surfer

Senioren, Greise, Silver Surfer

Alte Menschen in der Literatur

Vom Eise befreit

Vom Eise befreit

Frühlingsliteratur

Über das Denken

Philosophie für Kinder

Von Geburt an Philosophen

Wer sind die anderen?

Afrika

Der so genannte dunkle Kontinent

Familiengeschichten

Vater, Mutter, Kind, Krieg

Familiengeschichten

Wirtschaftskrisenwerke

Wirtschaftskrisenwerke

Über Gier und Risiko