Émile Zola: Das Paradies der Damen
Mit viel Liebe zum Detail beschreibt Émile Zola „Das Paradies der Damen“ und damit die neue Pariser Warenhauskultur. Als einer der Ersten erkennt er diese als Kathedralen der Neuzeit und liefert mit seinem Roman eine wahre Fundgrube für historische Sozialstudien.
Bis vor Kurzem war mir nicht bewusst gewesen, welche Bedeutung das Entstehen der großen Warenhäuser in den Fünfziger und Sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts vor allem für die Frauen besaß. Es war gewissermaßen der einzige öffentliche Ort, den sie ohne männliche Begleitung aufsuchen durften und in dem es eine Damentoilette gab. Zuvor mussten Damen in Restaurants Zuflucht nehmen. Das Warenhaus wurde bald mehr als nur eine bequeme Art, aus einem möglichst weitgefächerten Konsumangebot zu wählen. Hier trafen sich die Kundinnen, tauschten Gedanken und Gerüchte aus – gingen ihrem Kaufrausch oder vielleicht auch mal außerehelichen Reizen nach, und manches erste Rendezvous fand scheinbar unverdächtig im Schatten der Regale statt. Von Anfang an gab es einen Tee- einen Ruhe-, einen Leseraum, wo man sich von der Strapaze des Einkaufens erholen konnte.
Die ersten großen Warenhäuser entstanden in London, Paris und New York und es dauerte nicht lange, bis auch die fortschrittlichen Schriftsteller jener Ära das neue Verkaufkonzept als literarischen Schauplatz entdeckten. Mir selber war es noch vergönnt, im legendären Pariser Samaritaine einzukaufen, auf den hölzernen Rolltreppen nach oben zu fahren unter das prachtvolle türkisgrüne Dach, das so vielen kleinen oder geheimen Geschichten gelauscht hat. Nun habe ich Zolas „Paradies der Damen“ schon vor 20 Jahren gelesen, damals aber noch relativ verständnislos. Zolas Einsicht, dass das höchste Glück der Frauen im Einkaufen bestehe, erschien mir etwas pauschal und misogyn, aber wo er recht hat, soll er recht behalten. Er, mit seiner naturalistischen Liebe fürs Detail und die Wahrheit, hat ja auch viel recherchiert für diesen Roman, in den berühmten „Bon Marché“ und „Magasins du Louvre“ – überaus präzise schildert er, wie die Organisation eines solchen Warenhauses funktioniert hat und zu großen Teilen auch heute noch funktioniert. Mit seinen schwindelerregenden Architekturen aus den neuen Eisenkonstruktionen war es nicht nur den Reichen vorbehalten, es wurde auch zum Palast der kleinen Leute, die mit Sonder- und Billigangeboten gelockt wurden. All jenen Konsumtempeln gemein war und ist zumeist noch immer eine zentrale Halle, die als Lichthof dient und um die sich mehrere Stockwerke gleich Galerien winden. Auf der riesigen Freitreppe (ab 1869 kamen Aufzüge hinzu) konnte sich die Kundin, wie Gertrud Lehnert in ihrem kundigen und schönen Nachwort schreibt, als Königin oder Heldin einer Inszenierung fühlen. Das Warenhaus mit seinem oft kirchlichen Grundriss wird zur Kathedrale der Neuzeit und Zola begreift dies als einer der Ersten.
Die Geschichte der jungen Provinzlerin Denise Baudu, die nach einigen Wirren ihr Glück findet, soll hier gar nicht weiter ausgebreitet werden – denn nicht sie oder der so frauenfeindliche wie skrupellose Geschäftsmann Mouret sind die eigentlichen Protagonisten des Romans, der Held, ja Titelheld – ist das Kaufhaus, das Paradies der Damen selbst. Zola hingegen ist weder Flaubert, noch Maupassant, um mal die Namen zweier meiner Götter zu nennen, aber vieles, was ihm an Sprachmelodie, an Ausdrucksfacetten mangelt, macht er durch Präzision wett, weshalb Zolas Romane zu Fundgruben für historische Sozialstudien wurden. Wenngleich er oft das Paris der 1870 Jahre beschreibt, die Handlung aber zwanzig Jahre früher spielt. Das ist ihm nachzusehen. Zola starb, zweiundsechzigjährig, an einer Kohlenmonoxidvergiftung in seiner Wohnung, ein Unfall wurde angenommen, doch soll es einen „patriotischen“ Schornsteinfeger gegeben haben, der ihm den Kamin verstopft haben will, der sich also mit dem Mord an dem gemäßigt linken Autor gebrüstet hat. Unnützes Wissen vielleicht, aber seither sehe ich Schornsteinfeger mit anderen Augen.
Emile Zola: Das Paradies der Damen. Edition Ebersbach, 576 Seiten, 26 Euro