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Wiederentdeckte Klassiker: Helmut Krausser

Ernst Toller : Eine Jugend in Deutschland

In der Neuausgabe der Autobiografie des Dramatikers Ernst Toller lässt der Literaturprofessor Wolfgang Frühwald „Eine Jugend in Deutschland“ wieder auferstehen. Über 200 Seiten Anmerkungen und Materialien erläutern den historischen Rahmen von Tollers revolutionärem Lebenslauf.

Um Ernst Toller ist es seit Langem still geworden. Seine pathetisch-expressionistischen Dramen wurden oft eines falschen Tons bezichtigt und kaum noch aufgeführt, auch nicht mehr ganz ernstgenommen von einer Zeit, die mehr auf Nüchternheit und Sprachpräzision zielte als auf die passioniert hochfahrende, scheinbar nur selten klar strukturierte Weltverbesserungsemphase Tollers. Doch ist eben jener Widerstands-Ton erstaunlich aktuell und geläufig in unserer sich langsam wieder repolitisierenden Zeit, und es wäre doch mal eine lohnende Aufgabe für das deutsche Regietheater, die Theatertexte Tollers zu recyclen, zu entschlacken und auf ihren Kerngehalt zu prüfen.

Schwer fassbare, schonungslose Ehrlichkeit

Mit dem Wiedererscheinen seiner Autobiografie gibt es einen besseren Zugang zu diesem Autor, der am Aufstieg des Faschismus verzweifelte und sich 1939 in New York das Leben nahm. Das hervorragend edierte Buch besteht beinahe zur Hälfte aus Anmerkungen und Materialien zum Text, der sich überraschend modern liest. Modern in seiner schwer fassbaren schonungslosen Ehrlichkeit, mit der Toller die eigene Jugend als Jude in Ostpreußen beschreibt. Modern auch in den oft wechselnden Erzähltempi; da gibt es kaum ein betuliches Perfekt, einiges wird gar im Präsens, im Reportagestil erzählt, als finde das Beschriebene gerade statt. Wenn auch Tollers Leidenschaft hier und da übers Ziel hinausschießt, stört man sich überraschend wenig an überzogenen Lyrismen, schwelgerisch-hymnischen Beschwörungen, denn immer unterscheiden sie sich von Parolen und Floskeln durch das Herzblut, mit dem sie geschrieben sind. 1914 tritt Toller als Kriegsfreiwilliger den Dienst an. Er, der sich später zum radikalen Pazifisten entwickelt, schildert zuerst die Ekstase (denn die gab es zu Anfang eben auch), dann das Grauen und die Sinnlosigkeit des Krieges. Er kämpft vor Verdun, wird wegen Tapferkeit ausgezeichnet und verwundet. 1916 wird er für nicht wehrfähig erklärt und aus der Armee entlassen, er studiert Jura und Philosophie, engagiert sich in der Politik.

Toller wird zum Paradebeispiel für einen Autor, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, der die Zukunft der Arbeiterklasse aktiv mitgestalten will. Als einer der führenden Köpfe der Münchner Räterepublik verklärt er seine Rolle nicht; die Schuld am Scheitern der Revolution sucht er nicht allein bei den politischen Gegnern, auch bei sich selbst und seinen Mitstreitern, wobei ihm Selbstironie und bissiger Sarkasmus nicht fremd sind.

Ein Popstar der Weimarer Republik

Durch pures Glück konnte sich Toller einige Wochen lang verstecken, ansonsten wäre er sofort erschossen worden. Bewegend die Szene, als der gänzlich unpolitische Rainer Maria Rilke sich weigern muss, den auf der Flucht befindlichen Freund aufzunehmen. Seine Wohnung werde regelmäßig durchsucht, da Toller selbst sie unter den Schutz der Räterepublik gestellt hatte. Das Urteil von fünf Jahren Festungshaft wegen Hochverrat gegen den Staat (aber ‚aus ehrenhaften Motiven‘) fiel überraschend milde aus, nach verbüßter Haft wurde Toller zum Popstar unter den Dramatikern der Weimarer Republik. Es entsteht ein lebhaft-anschauliches Bild der ersten dreißig Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und seiner grotesken Verwicklungen, man kann das Buch besten Gewissens als Schullektüre empfehlen, es wird keinem Jugendlichen durch überzogene politische Phraseologie auf die Nerven gehen. Hier entblößt sich ein menschliches Schicksal mit allen dazugehörenden Stärken und Schwächen. In Toller, der als Sozialist den Sozialdemokraten misstraute, seinerseits bei den Kommunisten als zu ‚bürgerlicher‘ Ideologe galt, spiegelt sich das Hauptpro­blem der damaligen Linken wider: Sie fanden zu keinem notwendigen Zweckbündnis gegen den Faschismus zusammen, als der noch schwach war. Mich würde nicht wundern, wenn das abenteuerliche Leben Tollers eines nahen Tages verfilmt würde. Es wäre ein bilderreicher, bedrückender Stoff, geschrieben in einer Zeit, da für Europa noch beinahe jede Zukunft möglich schien.

Eine Jugend in Deutschland. Hrsg.: Wolfgang Frühwald. Reclam, 467 Seiten, 25,95 Euro

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