Die Frau im Kreise der Beatpoeten
Joyce Johnson: Zaunköniginnen
„Minor Characters“ wurde in Deutschland erstmals 1997 veröffentlicht, damals allerdings mit dem Titel „Warten auf Kerouac“. Schon in diesem Titel spiegelt sich die Rolle wider, die einer Frau im Kreise der Beatpoeten zugedacht war. Und tatsächlich blieben die weiblichen Protagonisten der Beatgeneration meist nur Zaungäste und hatten buchstäbliche Nebenrollen inne. Bis heute sind sie weitestgehend unbekannt und die ruhmvollen Namen der Beatgeneration heißen Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs. Umso entschieden mutiger wirkt der Titel der Neuausgabe: „Zaunköniginnen“.
Nun sprechen besagte Nebenrollen erst einmal nicht sonderlich für die List und große Klappe, die dem Zaunkönig nach Äsop zugeschrieben werden. Im Gegenteil, geradezu grünschnäbelig ist das Mädchen Joyce im New York der frühen 1950er Jahre unterwegs. Gemeinsam mit Freundinnen erkundet sie schon als 13-Jährige heimlich das Village. Ein stetes Versteckspiel mit ihrer Familie nimmt hier seinen Anfang. Fasziniert von der New Yorker Szene, wendet sie sich wenige Jahre später ab von der kleinbürgerlichen Welt ihrer Eltern und deren Erwartungen. Sie will unabhängig sein, auf eigenen Beinen stehen. Das Studium am College schließt sie nicht ab. Sie lässt sich in der Beatszene treiben, schlägt sich mit kleinen Jobs durch. Ihr großer Traum ist es, selbst Autorin zu werden. Doch zeigt sich sehr bald, welches enorme Durchhaltevermögen ihr dieser für eine Frau damals unkonventionelle Weg abfordert.
Vermittelt von Allen Ginsberg, lernt Joyce Johnson Ende 1956 Jack Kerouac kennen, der in der Beatszene schon einigen Rang und Namen hat. Sein großer Durchbruch steht kurz bevor. 1957 wird „On the Road“ schließlich veröffentlicht. (Kürzlich ist auch die deutsche Übersetzung der ungekürzten Urfassung dieser Bibel der Beatpoeten im Rowohlt Verlag erschienen.) Diesen ersten umfassenden Erfolg Kerouacs wie auch sein Hadern damit teilt Johnson unmittelbar mit dem neuerlichen Starautor. Sie wird seine Stütze in der sich stetig verschlimmernden Alkoholsucht, der ständigen Unrast, den finanziellen Engpässen. Doch bricht er immer wieder aus, die Zweisamkeit ist ihm unerträglich.
Johnson ist – anders als viele Geliebte des Autors – mit Kerouac auf intellektueller Augenhöhe und selbst begabte Dichterin. Bereits ihr erstes Romanmanuskript wird auf Anhieb von einem Verlag akzeptiert. Allerdings sorgt sie zudem äußerst pragmatisch als Sekretärin für Miete und Mahlzeiten. Und auch den Verlagsvorschuss braucht sie statt für ihr finanziell abgesichertes Schreiben für den gemeinsamen Lebensunterhalt mit Kerouac auf. Zwei Jahre bleiben die beiden ein Paar. Man zieht einerseits den Hut vor dieser starken jungen Frau, die ohne Neid, Groll und Missgunst ihre Unabhängigkeit stetig und immer erfolgreicher vorantreibt. Andererseits möchte man sie lesend schütteln, endlich aus Kerouacs Schatten zu treten. Das Zeug zur Zaunkönigin hatte sie allemal.
Joyce Johnson legt ein bemerkenswertes Selbstzeugnis ab, in dem sie sich ausgesprochen detailliert an Weggefährten, Orte und Begegnungen erinnert und dennoch distanziert vom Mädchen Joyce auf dem Weg zur Frau erzählt. „Zaunköniginnen“ ist weit mehr als ein Portrait der Beziehung Glassman-Kerouac. Joyce Johnson berichtet von einer ganzen Generation, einer Zeit, der die Frauenbewegung noch folgen sollte, die aber deren Anfang zeichnet. Dies macht den großen Verdienst der Wiederveröffentlichung im neuen Verlag edition fünf aus, der Frauen ganz glanzvoll in den literarischen Mittelpunkt stellt.
Joyce Johnson: Zaunköniginnen. Erinnerungen. Übersetzt von Thomas Lindquist, edition fünf, 376 Seiten, 16 Euro