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Milán Füst: Die Geschichte meiner Frau

Der ungarische Lyriker Milán Füst hat mit seinem anekdotenreichen Roman eine Geschichte von grotesker Egozentrik über eine pathologische Eifersucht verfasst. Trotz so mancher Schwächen und Inkonsequenzen lohnt die Lektüre dieses eigenartigen Buches.
 
Mit diesem Buch habe ich Schwierigkeiten gehabt. Und empfehle es dennoch, auch wenn ich ahne, dass nicht wenige Leser es irgendwann entnervt zur Seite legen werden. Es hat zugegeben Schwächen, Längen und Inkonsequenzen, hingegen ist es in seiner Gesamtidee stark genug, um mich letztlich zu überzeugen. Aber der Weg dahin war nicht einfach. Worum geht es? Ein älterer Mann, ein schwergewichtiger Handelskapitän erzählt von seiner Gattin, einer deutlich jüngeren, schlanken und begehrenswerten Frau. Dies tut er in einem sehr salopp-flapsigen Jargon, mit vielen Alltagsfloskeln und satzverlängernden Phrasen und Anhängseln, die eine gewisse eigene Sprachmusik entwickeln. Man fühlt sich an Céline erinnert. Und an Tristram Shandy. Denn immer, wenn man denkt, jetzt käme der Erzähler endlich zu Potte, fällt ihm noch eine andere Geschichte/Anekdote ein, die er unbedingt vorher noch einflechten muss. Das wird mit der Zeit ermüdend. Bald schält sich heraus, dass dem Autor hier eine Studie über pathologische Eifersucht vorgeschwebt hat, in der der Ich-Erzähler sich nach und nach als Wahnsinniger entlarvt. So weit, so gut. Jener Ich-Erzähler stellt sich anfangs als literarisch ungebildeter einfacher Mensch vor; später scheint der Autor das vergessen zu haben und lässt seinen Anti-Helden seitenweise mit Hamletzitaten und Essays über den Esoteriker Swedenborg protzen. Spätestens hier beginnt man, sich als Leser für die Persönlichkeit des Autors Milán Füst zu interessieren. Und macht die beunruhigende Entdeckung, dass der ein recht eigenartiger Kauz und Sonderling gewesen sein muss, ein Nörgler und Hypochonder, nahe am Autisten. Sieben Jahre hat er, ein Lyriker, der seine Gedichte häufig durch zu oftmalige Umarbeitung zerstört haben soll, gebraucht, um in der Zeit des Zweiten Weltkriegs diesen völlig apolitischen Text, seinen einzigen Roman, zu Papier zu bringen. Ungläubig staunend erfährt man im Nachwort, wie viele beinahe unendliche wie irrelevante Überlegungen es Füst gekostet hat, einen passenden Nachnamen für seine Figur zu finden, die zwischendurch einmal Jakob Leimrock, dann Jakob Dröhn heißen sollte, bis schließlich Jakob Störr das Rennen machte. Ein Name, der zudem im Buch selten auftaucht. Vielen Passagen merkt man an, dass sie nachträglich eingefügt wurden und die Harmonie der Kapitel durcheinanderbringen. Auch bei sehr erfahrenen Schriftstellern kommt es hin und wieder vor, dass sie sich im eigenen Werk verirren. Statt mal einen Schritt zurückzutreten und das Gesamtkonstrukt gleichsam von oben und von außen zu betrachten, verlieren sie sich in mikroskopischen Verschlimmbesserungen, die in ihrer Summe einigen Schaden anrichten können.
 
Kapitän Störr wächst einem nicht ans Herz, obwohl man zu Anfang komplett auf seiner Seite ist. Füst macht es dem Leser schwer, wenn er zum Beispiel seinen Protagonisten über die Musik Gustav Mahlers urteilen lässt, sie sei ein fürchterlich langweiliges Geschwelge. Obwohl Störrs Gattin im Grunde ein unbekanntes Wesen bleibt, wünscht man ihr alles Gute und fürchtet gar um ihr Leben. Enttäuschend wirkt auch der Schluss, der andererseits völlig konsequent ist. Eine Ehefrau, die unter einem so ausgeklügelten Observierungsapparat leiden muss, wird, auch wenn sie ursprünglich einmal treu und unschuldig war, dieser Hölle entfliehen wollen. Damit ist nicht zu viel verraten, denn die Stärken des Buches liegen auf dem Weg dahin, in der Schilderung der diversen Eifersuchts-Stadien, die etlichen Lesern und Leserinnen bekannt vorkommen dürften. Der Text hätte eines starken Lektors bedurft, der mit mutigen Strichen den Wust gestutzt, ökonomisch gestaltet hätte. So ist „Die Geschichte meiner Frau“ leider kein Meisterwerk der Weltliteratur, aber immerhin ein starkes, sperriges Buch von bemerkenswerter Eigenart.
 
Hagen Schnauss Milán Füst: Die Geschichte meiner Frau. Die Andere Bibliothek, 496 Seiten, 30 Euro

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