Nathanael West: Miss Lonelyhearts
Nathanael Wests „Miss
Lonelyhearts“ aus dem Jahr 1933 ist absolut sonderbar: Die männliche Kummerkastentante einer New Yorker Zeitung geht an den schicksalsträchtigen Leserbriefen zugrunde. Ein Stück experimentelle Prosa in knapper Sprache – bedrückend und originell.
Nathanael West, geboren als Nathan Weinstein, ist ein schwierig einzuordnender Autor. Zeitgleich mit dem großen John Fante betrat er die literarische Bühne am Beginn der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts, aber am anderen Ende der Vereinigten Staaten, in New York. Sein Oeuvre besteht aus wenig mehr als den vier Romanen, die er schrieb, bevor er, noch jung, an den Folgen eines Autounfalls verstarb. Auch vorher war ihm das Glück nicht hold. Er veröffentlichte bei Verlagen, die kurz vor dem Bankrott standen, bekam kein Honorar ausbezahlt, etc.
Miss Lonelyhearts ist dabei ein Roman, der mehrmals verfilmt wurde, beim ersten Mal aber nur, weil dem Produzenten Zanuck der Titel so gut gefiel – den er dann doch wegließ. Jener Film hatte mit dem Buch praktisch kaum etwas gemein.
Dessen Handlung dreht sich um einen vielversprechenden jungen Journalisten, der sich darauf eingelassen hat, die Lebensberatungskolumne einer größeren Zeitung zu unternehmen, dies aber nach einem halben Jahr nicht mehr machen will oder kann, da ihn die eingesandten Leserbriefe mit den dahinterstehenden Schicksalen zutiefst frustrieren. Immer öfter flüchtet er sich während der Prohibitionszeit an die Tresen irgendwelcher Flüsterkneipen, sucht dabei seinen Weg, den er mehr und mehr verliert, obgleich Christus – der Name fällt oft, wird kaum je theologisch fundiert – seine Antwort auf vieles wäre. Sein Handeln steht im Verlauf des Romans immer eklatanter im Gegensatz zu seinen Gedanken. Zuletzt beginnt er eine Affäre mit einer unansehnlichen Frau, die ihm einen besonders deprimierenden Hilferuf geschickt hat, die Entgleisung mündet in eine lakonisch vorgetragene Katastrophe. Der Roman ist eine Art bildungsschwangere Kurzgeschichtensammlung, lose verknüpfte Episoden fügen sich erst spät zu einer Chronologie des Untergangs. Herausgekommen ist etwas absolut Sonderbares. Dem Autor stand eine Sprache zur Verfügung, die der vom bereits erwähnten John Fante erstaunlich ähnelt, die in ihrer flapsigen Modernität und Schnellatmigkeit den Grundstock legte für die Romane der nachfolgenden Beat-Generation mit und nach Jack Kerouac. Doch anders als all jene Autoren reduziert West seinen Plot jeweils um fast alles, was ihn spannend machen könnte. Suhlt sich in der Melancholie und Verlorenheit seines Antihelden, schiebt scheinbar nebensächliches Geplauder in den Vordergrund und dampft das reine Geschehen zu etwas Schattenhaftem, beinahe Belanglosem ein. Kein Wunder, dass sich Wests Zeitgenossen schwer taten mit dieser Art vordergründig leichter, doch experimenteller Prosa, die sich oft um die eigentliche Dramatik eines Konflikts herumzudrücken schien. Die andererseits nur konsequent den Alltag vieler am Leben kläglich scheiternder weil zu skrupulöser Figuren wiedergibt.
Bei der Lektüre drängen sich Vergleiche mit erstklassiger Alkoholiker-Literatur auf, zum Beispiel mit der „Reise nach Petuschki“ von Wenedikt Jerofejew und dem immer noch unterschätzten Meisterwerk Jörg Fausers, „Alles wird gut“. Beide Bücher zeichnet unter anderem aus, dass ihr haltloses Dahingleiten im Stream of Consciousness Komik erzeugt, die aus der Spiegelung banaler Wirklichkeit mit einem fast religiösen Pathos bis geradehin biblischem Duktus entsteht. Wie es im Suff und den Wogen seiner Sentimentalität oft naheliegt. Nathanael West hätte Komik wohl als Verrat an seiner Figur empfunden, das macht sein Buch so bedrückend und ebenso angreifbar wie originell. Wer das Gefühl haben möchte, sozusagen auf dem Nebengleis der Literaturgeschichte, mal etwas anderes zu lesen, fernab jedweder gängiger literarischer Tricks und Kundendienste, wird diesem Text, diesem so leisen wie feinen Aufschrei, manches abgewinnen können. Der Verlag sei darauf hingewiesen, dass ein Anmerkungsapparat auch zu lang geraten kann, dass man nicht jede noch so naheliegende Anspielung erläutern und ein ernsthaftes Buch auf dem Umschlag nicht mit peinlichen Herzchen garnieren muss.
Nathanael West:
Miss Lonelyhearts, Manesse, 176 Seiten, 19,95 Euro