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Interview: Jörn Radtke (jr) | Fotos: Uwe Tölle

Sebastian Koch über den „Seewolf“

Der für den Wolf spricht

Wolf Larsen, Freigeist und „Seewolf“, hat in Sebastian Koch einen neuen Darsteller und leidenschaftlichen Fürsprecher gefunden: Koch hat den unbeugsamen Kapitän der „Ghost“ in der aktuellen ZDF-Verfilmung gespielt und anschließend Jack Londons berühmten Roman als Hörbuch neu eingelesen. hörBücher erfuhr von dem Schauspieler, was ihn am „Seewolf“ so fasziniert.

Herr Koch, warum ist „Der Seewolf“ für Sie mehr als eine spannende Abenteuergeschichte?

Dieser Roman ist von einer solchen Intensität und Klugheit, er ist so metaphorisch verwoben, dass man tatsächlich von Weltliteratur sprechen muss. In dieser Hinsicht sollte man Jack London rehabilitieren. Deswegen habe ich den „Seewolf“ auch noch einmal als Hörbuch eingelesen, um dazu beizutragen, dass die Leute sich mit dem Buch auseinandersetzen: weil es einfach große, wirklich große Literatur ist.

Inwiefern?

„Der Seewolf“ ist ein ausgesprochen faustischer Stoff. Man kann durchaus sagen, dass in den Figuren zwei Seelen aus Jack Londons Brust gewachsen sind: einmal Wolf Larsen, ein gefallener Engel, der aus dem Club der Heiligen ausgetreten ist und sagt: Ich möchte nicht dienen! Ich möchte selbst herrschen! Und zum anderen Humphrey van Weyden, der weiter Mitglied in diesem Club ist und der für die christliche Moral und Glaubenssätze steht. Und das sind die ewig aktuellen Fragen: Was für Grenzen habe ich? Was für Grenzen muss ich einhalten in der Gesellschaft, ohne meine Identität, ohne mein Ich zu verlieren? Dahinter steckt eine große Philosophie, und die wird im „Seewolf“ klug abgehandelt. Da wird nicht einfach nur gesegelt und geredet, sondern die beiden Menschen haben wirklich etwas zu lösen. Der eine, der nie eine Chance hatte, seinen großen Geist kraft einer Ausbildung zu entfalten, und der andere, der alles gelernt hat und doch zu faul und lahm ist, das alles umzusetzen. Diese beiden Gestalten verschmelzen dann zu einem Mann – Humphrey van Weyden am Ende der großen Reise –, der ansatzweise in der Lage ist, diese neuen Eigenschaften in sein altes, dandyhaftes Leben zu übernehmen. Das finde ich einen großartigen Ansatz für eine Geschichte. 

Die Hörbuch-Fassung des „Seewolf“ ist deutlich gekürzt. Hatten Sie Einfluss auf die Kürzungen?

Ja. Ich habe Wert darauf gelegt, dass die großen philosophischen Abhandlungen der beiden Protagonisten im Hörbuch erhalten werden. Das war mir sehr wichtig. Das ist etwas, das der Film nicht leisten kann: Da würden die Leute bei diesen längeren philosophischen Passagen wohl wegschalten.

Sie haben den Film in englischer Sprache gedreht und anschließend das Hörbuch auf Deutsch eingelesen. War die Umstellung ein Problem?

Anfangs war es schon ein Stolperstein. Dem Hörbuch liegt die deutsche Übersetzung von Erwin Magnus von 1926 zugrunde. Die ist zwar etwas antiquierter in der Sprache als modernere Übersetzungen, aber sie gefällt mir sehr gut. Viel dichter an der Sprache des Jack Londons war aber natürlich das englische Drehbuch, das sich stark am Original orientiert und damit die Kraft der Sprache des Romans besser wiedergibt, als es eine Übersetzung kann, die zudem noch vor mehr als 80 Jahren entstanden ist und daher nicht so leicht zu lesen ist.

Im Film stellen Sie den Kapitän des Robbenfängers „Ghost“, Wolf Larsen, dar. Im Roman berichtet Ich-Erzähler Humphrey van Weyden von seinen unfreiwilligen Erlebnissen mit dem „Seewolf“. Stellte Sie dieser Rollenwechsel beim Einlesen vor Schwierigkeiten?

Es ist schon seltsam, wenn man sich zuvor mit einer Figur so intensiv beschäftigt hat, wie ich mit Wolf Larsen, das Buch noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu lesen. Das fiel mir am Anfang ziemlich schwer. Ich habe etwas Zeit gebraucht, bis ich es hinbekam. Zuerst hatte ich die Idee, ich könnte van Weyden die Geschichte rückblickend in seinem Club erzählen lassen, etwas hochnäsig. Das haben wir auch versucht, aber diese Club-Idee trug nicht, weil van Weyden sich durch seine Erfahrungen auf der „Ghost“ zu sehr verändert hat.

  • Sebastian Koch im Gespräch mit hörBücher-Redakteur Jörn Radtke.

Und den Roman in vielen verschiedenen Stimmen sprechen, ihn zu „schauspielern“?

Ich bin bei Lesungen generell kein Stimmen-Imitator. Ich mag das ehrlich gesagt nicht. Und zu dem „Seewolf" passt das überhaupt nicht. Dann landet man dann wieder beim Abenteuerroman und einem Wolf Larsen, der brutal herum grölt und wütet. Das wollte ich nicht. Ich wollte zeigen, dass hier zwei zivilisierte Menschen wichtige Fragen miteinander verhandeln. Die Brutalität des Wolf Larsen muss beim Zuhörer entstehen. Das kann ich nicht über eine brutale Stimme transportieren. Ich habe daher den Roman so sachlich wie möglich gelesen. Ziemlich nüchtern und so dass die Fantasie beim Zuhörer geweckt wird.

Sie halten Wolf Larsen für einen zivilisierten Menschen?

Zivilisiert im Geiste. Für mich ist Wolf Larsen ein hochromantischer Mensch. Die Idee der Freiheit und des Individuums so hoch zu stellen, zu sagen, die Individualität geht über alles – das macht aus dem Materialisten Wolf Larsen einen Romantiker. Die Widersprüche liegen in der Natur der Sache, in dem Stoff. In meinen Augen ist Wolf Larsen ein ganz liebesfähiger Mensch, der aber nie gelernt hat zu lieben und deswegen alles zerstören muss, was ihm zu nahe kommt. Er hat unglaubliche Angst vor der Liebe, und gleichzeitig sehnt er sich in einem unendlichen Maße danach – und das ist das Romantische an dieser Figur, dieses Sehnen.

Mitgefühl für die „Bestie“ Larsen?

Mich berührt dieser Wolf Larsen schon sehr. Er ist so verloren in diesem großen Kampf gegen den Rest der Welt. Das ist sehr bewegend. Diese Figur entfacht eine große Leidenschaft, diese Figur hat eine große Leidenschaft.

Jack London schildert im „Seewolf“ nicht nur das Ringen zweier Männer um Werte, sondern auch den ungleichen Kampf zweier Brüder um die Vorherrschaft auf dem Meer.

Der Roman entstand ja zu Beginn der Industrialisierung. Diese Freigeister, wie Wolf Larsen, auf ihren Segelschiffen, die jeden letzten Winkel des Meeres kennen, sterben aus. Sie machen einer Dampfkraft Platz, die wesentlich rücksichtsloser und materieller ist, wenn es darum geht, noch mehr Profite zu machen. Und da kann man durchaus sagen, dass Wolf Larsen etwas von seinem Wesen an van Weyden vererbt. Wie ein sterbendes Tier, das sich zurückzieht und sich auf den Tod vorbereitet, versucht Wolf Larsen seine Philosophie weiterzugeben an einen Mann, der es wert ist. Er erzieht Humphrey van Weyden, dieses Weichei, und macht einen Mann aus ihm – der dann vielleicht in der Lage ist, ein Dampfschiff zu führen mit etwas mehr Geist, als es ein Death Larsen, der Bruder des Seewolf, der nur auf Profit aus ist. Ich finde es hochintelligent, wie Jack London das miteinander verwebt.

Sie sprechen beim „Seewolf“ von einem Klassiker der Weltliteratur. Was verstehen Sie grundsätzlich unter einem Klassiker?

Ein Klassiker ist etwas, das zeitlos ist. Die Essenz eines Romans oder Kunstwerks ist so kräftig, dass sie Zeiten und Generationen überdauert. Wir hören noch heute Mozart oder Schostakowitsch, weil ihre Werke immer noch eine Kraft haben. Und deswegen ist dieses Buch für mich ein Klassiker, der weiterhin hochaktuell ist.

Die „Ghost“ als Spiegel unserer Gesellschaft?

Auch. Was sich auf der „Ghost“ abspielt, ist das, was heute in Zeiten der Finanzkrise in unserer gefährdeten kapitalistischen Zivilisation zu sehen ist. Aber vor allem bleiben alle gestellten philosophischen Fragen in dem Buch offen. Sie werden nicht gelöst, sonst könnte man eindeutiger über den Stoff reden – und das gefällt mir. Denn es gibt keine Lösungen. Es gibt immer nur Versuche einer Antwort. Das ist das Leben. Es wird nie endgültig gelöst werden. Dafür ist das, was wir hier so treiben, viel zu kompliziert.

Sebastian Koch

Der 1962 in Karlsruhe geborene Schauspieler ist durch zahlreiche Rollen in Film und Fernsehen bekannt. Mit dem Grimme-Preis prämiert wurde Koch für seine Darstellung des Richard Oetker sowie für die Rolle des Klaus Mann in die „Die Manns“, für die er auch mit dem Bayerischen Fernsehpreis geehrt wurde. In „Das Leben der Anderen“ spielte Koch ebenso eine Hauptrolle wie in der Verfilmung von Theodor Fontanes „Effi Briest“.



 

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