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Gerichtsmediziner Prof. Dr. Michael Tsokos

Sie erzählen in Ihrem neuen Buch von einer „Tatort“-Folge, in der ein Rechtsmediziner durch Handauflegen auf eine Fußsohle den Todeszeitpunkt bestimmen konnte. Das sei übernatürlich und hellseherisch, sagen Sie. Können Sie sich TV-Serien anschauen oder Krimis lesen, ohne sich ständig an den Kopf zu fassen?

Ja, denn wenn ich so was gucke, dann tue ich das ja nicht unter fachlichen Gesichtspunkten, sondern um mich zu unterhalten. Da nehme ich solche dramaturgischen Freiheiten einfach hin, ohne mich zu ärgern. Mich stören höchstens die Serien um jene Profiler, denen hellseherische Fähigkeiten zugeordnet werden – aber die schaue ich mir deswegen ohnehin nicht an.

Aber setzen dramaturgische Freiheiten Ihr Berufsbild nicht in ein falsches Licht?

Wer halbwegs interessiert ist, kann das erkennen und trennen. Allerdings bekommen wir tatsächlich schon mal Anfragen von Staatsanwälten, die uns zu bestimmten Untersuchungsmöglichkeiten befragen, weil sie diese bei „CSI“ gesehen haben.

Sie haben in einem Interview mal erzählt, dass Jan Josef Liefers, der im Münsteraner „Tatort“ einen Gerichtsmediziner spielt, regelmäßig bei Ihnen anruft, um Rat einzuholen?

Ja, es kommt eigentlich bei jeder Folge vor, dass er mich ein- oder zweimal anruft, weil er selbst den Anspruch hat, dass die Drehbücher möglichst realistisch sind.

Was macht denn einen realistischen forensischen Thriller aus?

Dass der Rechtmediziner wirklich seine Arbeit macht und nicht, wie uns bei „Der letzte Zeuge“ mit Ulrich Mühe suggeriert wird, abends noch Leute vernimmt oder Verdächtige beschattet. Unsere Arbeit beschränkt sich auf das Labor und den Obduktionssaal und beinhaltet nicht das Abnehmen der polizeilichen Ermittlungsarbeit.

Haben Sie Lieblingskrimiautoren?

Ich lese gerne Roger Smith, Deon Meyer und Wolfgang Schorlau, von denen ich alle Bücher gelesen habe. Die haben aber mit Rechtsmedizin relativ wenig zu tun.

Warum schreiben Sie nicht selber Thriller – an Inspirationen wird es Ihnen ja nun nicht mangeln?

Ich bin schon dabei, und zwar mit einem der bekanntesten deutschen Thrillerautoren, der mir genau die gleiche Frage gestellt hatte. Ich sagte ihm, dass ich tatsächlich eine gute Geschichte hätte, die ihm so gut gefiel, dass er vorschlug, gemeinsam etwas zu machen. Wir haben uns bislang zweimal getroffen, die Geschichte komplett durchgesprochen und hoffen nun, sie in den nächsten Jahren zu Papier bringen zu können.

Gibt es Autoren, die sich von Ihrer Arbeit haben inspirieren lassen?

Einen konkreten Fall wüsste ich nicht. Aber verschiedene Autoren wie Frank Schätzing, Wolfgang Schorlau und Veit Etzold lassen sich von mir beraten.

Die Bestseller-Autorin und forensische Anthropologin Kathy Reichs war zunächst Archäologin und gab auch ihrer Heldin Tempe Brennan diesen Hintergrund. Liegt dieses Faible Rechtsmedizinern oder Ihnen speziell auch im Blut, zumal es Ihrer Arbeit nicht ganz unähnlich ist?

Ich wollte immer Archäologe werden, habe als Jugendlicher die Bücher von Schliemann verschlungen und war neben dem Medizinstudium ein paar Semester bei der Archäologie eingeschrieben. Aber für diesen Job muss man große Ideale haben, und es ist auch eine relativ brotlose Kunst, wenn man nicht den großen Wurf macht. Aber mein Interesse gilt der Archäologie nach wie vor. Immerhin haben Archäologen ja auch oft mit alten Skeletten zu tun, die ein paar hundert Jahre alt sind, bei denen es darum geht, das Alter und das Geschlecht zu bestimmen.

Prof. Dr. Michael Tsokos (geboren 1967 in Kiel) leitet das Institut für Rechtsmedizin der Charité und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. 1998 und 1999 war er im Auftrag des BKA in Bosnien und im Kosovo an der Exhumierung und Identifizierung aus Massengräbern beteiligt, 2005 an der Identifikation der deutschen Tsunami-Opfer in Thailand. 2009 stellte er die spektakuläre These auf, dass es sich bei einer Jahrzehnte alten Wasserleiche in der Charité möglicherweise um die 1919 ermordete Rosa Luxemburg handeln könne.

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