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Jörg Pilawa

Das Buch heißt "Pilawas Zeitreise" - in welche Epoche würden Sie gerne reisen?

Mich fasziniert das Mittelalter am meisten, weil es uns einerseits recht nah ist, wenn man sich die Ursprünge der Märkte in vielen Städten oder das Stadtrecht anschaut, das auf das Mittelalter zurückgeht. Andererseits ist es uns sehr fremd. Dorthin würde ich gerne mal reisen, aber nur mit Rückfahrticket.
 

Welche historischen Persönlichkeiten faszinieren Sie am meisten?

Eine bestimmte historische Person gibt es nicht für mich. Napoleon fasziniert wohl jeden. Ich finde auch Bismarck sehr spannend, schon wegen seiner Sozialgesetzgebung. Bis ich mich mit der Kolonialpolitik beschäftigt habe, dachte ich, Bismarck ganz gut zu kennen. Dann bin ich darüber gestolpert, dass er sich zunächst gegen Kolonien gewehrt hat, obwohl der Kolonialgedanke eigentlich ganz gut in seine Vita hineingepasst hätte. Da sind dann Momente, in denen ich mehr erfahren möchte.

Gibt es bestimmte Kuriositäten der Geschichte, über die Sie bei der Recherche gestolpert sind?

Da war dieser deutsche Apotheker, der zur Kolonialzeit in Neuguinea dem Nudistentum frönte und glaubte, dass der Verzehr von Kokosnüssen unsterblich mache. Was mich aber total fasziniert hat, ist die Tatsache, dass Ludwig II. von Bayern ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hat, eine Bank in Frankfurt ausrauben zu lassen, weil seine Staatskassen leer waren. Oder dass er beinahe König von Mallorca geworden wäre, weil man ihm damals für umgerechnet 30 Millionen Euro die Insel angeboten hatte - soviel kostet dort heute das Haus von Boris Becker (er schmunzelt).

  • Jörg Pilawa und hörBücher-Chefredakteur Christian Bärmann trafen sich im Innenhof des hamburgmuseums.

Gerade im Hinblick dem Nationalsozialismus fällt vielen Deutschen die geschichtliche Aufbereitung heute sehr schwer. Wie gehen sie damit um?

Es gibt nichts daran zu rütteln, dass dies das schlimmste und düsterste Kapitel der Geschichte schlechthin ist. 60 Millionen Menschen sind zwischen 1933 und 1945, durch Deutsche ausgelöst, umgebracht worden. Schon allein der Mahnung wegen muss das in Erinnerung bleiben. Doch wir haben in der geschichtlichen Aufbereitung dieser Zeit einen großen Fehler gemacht - das ist für mich das Unwort "Vergangenheitsbewältigung". Das ist mit klar geworden, als mir in Israel ein Überlebender des Warschauer Ghettos sagte, dass dies genau unser Problem sei: "Ihr wollt etwas bewältigen, das man nicht bewältigen kann. Es ist ein Teil eurer Geschichte, und als solches müsst ihr es annehmen." Das Unwort impliziert, dass man irgendwann die Schublade zumachen kann. So gesehen haben wir auch in unserer jüngsten Geschichte den Riesenfehler gemacht, wie er 1945 mit den Nürnberger Prozessen begangen wurde.

Wie meinen Sie das?

Es wurde geglaubt, dass mit diesen Prozessen die Täter zur Strecke gebracht wurden und die, die entnazifiziert wurden, plötzlich eine weiße Weste hatten. Was für ein Blödsinn. So wurde ganz vielen Menschen die Möglichkeit genommen, etwa den normalen Wehrmachtssoldaten, die an der Ostfront viel Gräuel gesehen und unter Umständen auch verursacht haben, darüber zu sprechen, weil über ihnen immer das Schwert mitschwang, dass auch sie Täter waren. Und das Gleiche haben wir nach dem Mauerfall auch wieder gemacht. Da haben wir denjenigen, die das System gestützt haben, auch nicht die Möglichkeit gegeben, über diese Zeit zu sprechen. Jeder hat sich sofort verteidigt, teilweise auch ohne Anklage. Ob wir es nach dem Mauerfall besser gemacht haben als 1945, werden wohl erst unsere Kindeskinder beurteilen können. Ich wage es zu bezweifeln, weil wir viel zu wenig darüber gesprochen haben, ohne immer gleich zu urteilen. Das Grauenhafte ist nicht in Worte zu fassen, aber es darf dennoch nie die Stimme verklingen, die darüber spricht und darüber informiert, ohne einen Überdruss bei jungen Menschen, gerade nach der Schulzeit zu erzeugen.

Wo haben Sie den Fall der Mauer erlebt?
Als es sich abzeichnete, war ich in Hamburg. Ich weiß noch, dass ich enorm traurig war, dass mein Vater das nicht mehr erleben durfte, weil es für ihn das Größte gewesen wäre, das noch erleben zu können. Als die Grenze aufging, war ich als Reporter bei Radio Schleswig-Holstein und einer der ersten, der mit einem Aufnahmegerät nach Ludwigslust und Rostock ging und dort die ersten Interviews führte. Und ich ärgere mich schwarz darüber, dass ich diese O-Töne nicht aufgehoben habe. Ich habe eine so euphorische, positive, unglaubliche Stimmung nie wieder in Deutschland erlebt.

Und wissen Sie noch, wo Sie am 11. September 2001 waren?

Das werde ich nie vergessen. Ich war im Studio und bereitete mich auf Quizaufzeichnungen vor. Ich sah im Fernsehen als einer der ersten in der Produktion, was passiert. Ich habe es zunächst gar nicht begreifen können. Das ist in meiner beruflichen Karriere ein Fehler, den ich mir heute schon fast vorwerfe, weil ich mich habe überreden lassen, trotzdem die Aufzeichnung zu machen. Ich hätte eine Zäsur machen müssen und für mich entscheiden sollen, dass ich angesichts dieses schrecklichen Ereignisses nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Aber ich habe mich instrumentalisieren lassen, weil das Publikum da war und wir vier teure Aufzeichnungen machen mussten. Ich hätte mich damals durchsetzen sollen.



 


 

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