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Reise-Journalist Helge Timmerberg

Sind Sie selbst in Gefahr geraten?

Komischerweise ja, obwohl Senegal als sicher gilt. Geklaut wird da ohne Ende und sehr geschickt, aber es gibt wenig Gewalt. Und dann kamen wir nachts aus einem Restaurant, ich wollte mich ein bisschen bewegen und bin einfach durch die Innenstadt gegangen. Ich ging eine Straße entlang – da ist alles dunkel, die haben keine Stadtbeleuchtung –, und plötzlich sehe ich in dreißig Meter Entfernung auf der linken Seite etwa zweihundert Jugendliche mit Knüppeln und Stöcken. Man hörte die Aggression. Wir haben gar nicht reagiert, sind einfach langsam weitergegangen. Und als wir auf deren Höhe sind, rasen die plötzlich alle auf die andere Seite, weil da auch so ein Pulk von hundert Leuten ist. Wir waren genau mittendrin, und die rasen an uns vorbei mit ihren Knüppeln. Die haben ja gar nichts gegen einen, aber die hauen dann einfach auf alles drauf. Das ist die einzige gefährliche Situation, an die ich mich erinnere.

Was ist dieser Schutzengel, der Ihnen so oft Ihr Leben und Ihre geistige Gesundheit gerettet haben soll, eigentlich für ein Typ?

Freiwillig macht der das nicht. Schutzengel sind vielleicht immer abkommandiert, keiner macht das freiwillig. Die haben ja irre viel zu tun, das nervt die ohne Ende. Ich bin ihm dankbar, aber ich muss es nicht sein. Das ist sein „fucking job“. Allerdings kommt er mit mir viel rum. Wenn er ein Schutzengel ist, der gerne reist, ist er ja gut bedient.

Wie hat Afrika Sie verändert?

Meine Stimme ist sehr viel tiefer geworden, ich bin tiefer in mir verankert. Und ich hab viel weniger Ängste als vorher, nicht nur vor Afrika, sondern insgesamt.

Sie sind jetzt 58 Jahre alt und nicht mehr so stark und beweglich wie als junger Mann. Reist man im Alter anders?

Langsamer, etwas komfortabler, etwas teurer. Ich akzeptiere keine Kakerlaken mehr im Hotel. Und die Naivität ist weg. Ich suche nicht mehr die Erlösung, das ewige Dableiben, das große Glück. Ich weiß jetzt: In Marokko oder Kuba bin ich genauso oft schlecht oder gut drauf wie hier. Da sind halt Palmen. Aber ob ich an eine Eiche pinkele oder an eine Palme, das ist ungefähr dasselbe.

Wie sind Sie mit dem „new journalism“ in Kontakt gekommen?

Durch Hunter S. Thompsons „Fear and Loathing in Las Vegas“. Das hat bei mir eine Tür aufgestoßen. Beim „Stern“ haben sie mich dann sofort rausgeworfen, aber dann kam der „Playboy“, und die wollten genau das. Ich bin Hunter S. Thompson sehr dankbar, denn dadurch, dass ich diese Form gefunden habe, ist mein Leben viel einfacher verlaufen. Ich wäre sonst erzählerisch nie so abgegangen.

Helge Timmerberg, geboren 1952 im hessischen Dorfitter und aufgewachsen in Bielefeld. Während er mit zwanzig im Himalaja Meditation erlernte, befahl ihm seine innere Stimme: „Geh‘ nach Hause und werd‘ Journalist.“ Sein Volontariat absolvierte Timmerberg bei der „Neuen Westfälischen“, seit Beginn der achtziger Jahre schreibt er Reisereportagen aus allen Teilen der Welt – mit Ausnahme Australiens und Skandinaviens. Als einer der ersten in Deutschland entdeckte er den „Gonzo-Journalismus“ für sich. Er berichtete unter anderem für den „Stern“, „Tempo“, den „Playboy“, die „Bunte“, „Merian“, die „Süddeutsche“ und „Die Zeit“. Außerdem hat er in den letzten 25 Jahren zwölf Bücher veröffentlicht, sein jüngstes ist „Der Jesus vom Sexshop“.

Thompson hat den Begriff des „Gonzo-Journalismus“ geprägt (Red.: „gonzo“ steht im US-Englischen für exzentrisch oder verrückt). Aber was bedeutet das genau?

Das zu schreiben, was man meint. Den objektiven Journalismus gibt es in Wahrheit nicht. Journalisten sind keine Roboter, die völlig wertfrei und ohne irgendeinen intellektuellen, moralischen, seelischen Hintergrund Informationen sammeln. Journalisten sind Menschen und Menschen sind subjektiv. „Ich“ zu sagen ist ehrlicher dem Leser gegenüber, weil er dann weiß, woran er ist: „Ah ja, das ist Helge, der ist ein bisschen durchgeknallt.“ Allerdings ist der New Journalism nur denkbar, weil es den traditionellen Journalismus gibt. Eine Geschichte in diesem Stil steht jedem Blatt, aber auf der Politik-Seite der „Süddeutschen“ möchte ich so etwas nicht lesen.

„Der Jesus vom Sexshop“ ist das zweite Hörbuch, das Sie selbst eingelesen haben. Wie finden Sie die Arbeit im Studio?

Das Lesen im Studio macht mir nicht so viel Spaß wie das Lesen vor Publikum, aber ich lese gern.

Fallen Ihnen, wenn Sie sich lesen hören, neue Dinge an Ihren Texten auf?

Ja, natürlich. Beim Lesen merkt man, wo ein Text zu lang oder zu bräsig ist. Gestern, bei meiner dritten Lesung, habe ich einen Absatz aus „Der Sliwowitz-Contest“ ausgelassen, von dem ich mich schon beim letzten Mal gefragt hatte, warum ich den eigentlich reingeschrieben habe. Als ich den zum letzten Mal vor Publikum gelesen habe, war er mir regelrecht unangenehm. Einfach zu langweilig. Wenn ich daran denke, Bescheid zu sagen, wird der auch in der Taschenbuchausgabe gestrichen.

Wen von all den Leuten, denen Sie auf Ihren Reisen begegnet sind, würden Sie gern wieder sehen?

Kashinat. Das ist ein kleiner Yogi aus Nepal, mit dem ich mal zwei Wochen im Annapurna-Massiv unterwegs war. Ein unheimlich netter Yogi mit sehr viel Kraft. Ich hatte mal sieben dunkle Jahre, und er hat mein Leben umgedreht. Danach hatte ich sieben helle Jahre. Aber wenn ich den mal wieder treffe, dann ist das reines Schicksal, denn er wandert durch die Berge, und man weiß nie, wo er gerade ist.

 

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