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Portrait: Sabine Schmidt | Fotos: Paul Schmitz

Frank Schätzing

In einem umstrittenen Land

Nahost-Geschichte mit „James Bond“-Elementen: Frank Schätzing jagt seinen Helden durch Israel und befasst sich intensiv mit der Vergangenheit und Politik des Landes. Bücher hat in Köln mit ihm über diese spezielle Mischung aus Thriller, Roman und Sachbuch gesprochen.

Er wird von allen Seiten herzlich begrüßt, als er in die helle, gemütliche Bar in der Kölner Südstadt kommt, und mit kölscher Herzlichkeit grüßt Frank Schätzing zurück. Er umarmt seine Mitarbeiterin, die hier auf ihn gewartet hat, sowie die Freunde am Nachbartisch. Der Autor ist im „Wippn’bk“ fast zu Hause: Hier trifft er sich zum Plaudern, und hier hat er große Teile seines letzten Romans „Limit“ geschrieben. „Breaking News“, der neue Thriller, ist zwar in dem Büro entstanden, in dem er inzwischen arbeitet, aber bevor er morgens dorthin geht, legt er hier einen Zwischenstopp für Cappuccino und Croissant ein. Oft schaltet er dann schon den Laptop ein und beginnt, Szenen zu entwerfen. „Das Gemurmel hier in der Bar ist ein Grundrauschen, auf dem ich mit meinen Gedanken wunderbar surfen kann“, sagt Frank Schätzing.

Heute gibt es Ingwer-Pfefferminz-Tee statt Cappuccino. „Das schmeckt auch gut und passt zu der Diät, die meine Frau uns verordnet hat“, erklärt er. Sechs Kilo Hüftspeck hat er verloren. So fühle er sich wohler, meint er. Und sein gutes Aussehen hatte er auch schon mal eingesetzt: Im Herbst 2009, nach dem großen Erfolg seines Romans „Der Schwarm“ war gerade „Limit“ erschienen, stand er Modell für die Mey-Unterwäschekollektion.

Ursachen des Nahost-Konflikts

Das „Wippn’bk“, der Tee, die Diät – Frank Schätzing kann Smalltalk. Aber er schaltet sofort um und wird ernst, als wir über sein neues Buch sprechen, einen Roman mit Thrillerelementen, aber auch mit langen Passagen, in denen er detailliert die Geschichte Israels ab 1912 erzählt. Hauptfigur ist ein deutscher Kriegsreporter, der aus Afghanistan, Libyen und Syrien berichtet, bevor es ihn nach Israel verschlägt.

Ursprünglich hatte Frank Schätzing einen Roman vor allem über Krisenjournalismus schreiben wollen. Der ist auch eines der Themen geblieben, der Fokus hat sich aber in Richtung Israel, dessen Geschichte und Konflikte verschoben: „Je mehr ich mich mit dieser Region beschäftigte, desto mehr geriet ich in ihren Sog.“ Der Autor hat aufwendig recherchiert und hält sich an historische und politische Tatsachen. Der Kern des Nahost-Thrillers ist allerdings fiktiv: Es gibt ein Attentat auf einen Politiker, das nicht als Anschlag zu erkennen ist. Der Mann wird krank, und keiner merkt, dass er vorsätzlich falsch behandelt wurde. Auch so kann man jemanden aus dem Weg räumen.

Reporter Tom Hagen reimt sich aber doch zu viel zusammen und wird James-Bond-mäßig durch Israel und palästinensische Gebiete gejagt. „Das ist der Fun-Faktor beim Schreiben“, begeistert sich Frank Schätzing. Er liebt Action und Spannung mit wilden Verfolgungsjagden auf Motorrädern oder zu Fuß, mit einem toughen Helden, der auch mal locker Profikiller und böse Polizisten ausschaltet. „So etwas mag ich auch, wenn ich nicht schreibe“, bekennt er: Er habe eine Schwäche für „Jason Bourne“ und „James Bond“; 007 am liebsten verkörpert von Sean Connery oder Daniel Craig. Und ja: „Casino Royal“ und „Skyfall“ gefallen ihm richtig gut.

In der Welt Ariel Scharons

Der Spaß gehöre für ihn zum Schreiben dazu, dunkle Seiten aus Geschichte und Politik spart er aber nicht aus. Ariel Scharon, der am Nahostkonflikt über Jahrzehnte beteiligt war, spielt dabei eine wichtige Rolle. Als Kommandeur war er etwa maßgeblich an Israels Kriegen beteiligt, dafür wird er von vielen Landsleuten verehrt. Er war aber auch mitverantwortlich für Massaker an Palästinensern, dafür wird er bis heute gehasst. „Wie kontrovers er wahrgenommen wird, wurde bei der Trauerfeier deutlich“, berichtet Frank Schätzing. Scharon war nach einem Schlaganfall 2006 ins Koma gefallen und starb am 11. Januar 2014. Zu diesem Zeitpunkt war „Breaking News“ schon fertig, der Autor hat die Reden und Medienkommentare aber sehr genau verfolgt. „Für meine Recherchen habe ich mich so intensiv mit Ariel Scharon befasst, dass ich beinahe glaubte, einen guten Freund verloren zu haben, als ich von seinem Tod hörte.“

Im Roman wollte er ein detailreiches Bild des israelischen Politikers zeichnen und weder positive noch negative Seiten aussparen. Eine der eindrücklichsten Passagen seines Buchs ist die, in der er das Massaker von Sabra und Schatila schildert, das von den Vereinten Nationen als Völkermord bewertet wird und für das Ariel Scharon mitverantwortlich war. Frank Schätzing stützt sich für seine Szene unter anderem auf den Funkverkehr israelischer Soldaten. Sie waren in der Nähe, als libanesische Milizionäre in das palästinensische Flüchtlingslager eindrangen. Die Israelis hörten, dass Furchtbares vor sich ging, hatten aber die Order, nicht einzugreifen und hielten sich daran. Aus der Perspektive eines Soldaten schildert Frank Schätzing das Geschehen: Dieser versucht, das Grauen von sich fernzuhalten, aber es gelingt ihm nicht und die Schuld, nicht geholfen zu haben, erdrückt ihn so sehr, dass er sich einige Zeit später erschießt.

„Ich lasse alles, worüber ich schreibe, an mich herankommen. Wenn ich an meinem Laptop sitze, ist die reale Welt weit weg, und die fiktive Welt wird real. Diese Passage ist mir allerdings besonders nahegegangen“, sagt Frank Schätzing. Auf sie verzichten wollte er aber nicht: Das, was Menschen einander antun, gehört für ihn unbedingt zu seinem Roman.

Von Tel Aviv bis in die Westbank

Er hat sich intensiv auf das Buch mit seiner komplexen und kontroversen Thematik vorbereitet. Er hat viel gelesen, außerdem ist er zusammen mit seinem Verleger Helge Malchow nach Israel gereist. Dafür musste er seine starke Flugangst überwinden, die ihn viele Jahre von Fernreisen abgehalten hatte, aber das war es ihm wert. „Helge Malchow hat gute Kontakte in Israel und diese Kontakte haben uns an palästinensische Freunde und Bekannte weitergereicht“, berichtet Frank Schätzing.

Auf die Frage, welcher Ort ihm besonders gefallen hat, überlegt er eine Weile. „Tel Aviv ist eine spannende Stadt, sie ist quirlig, hip, progressiv, säkular, ich mag sie sehr. Jerusalem ist gewaltiger, aber auch musealer.“ Besonders beeindruckt habe ihn aber auch Nablus, der Ort in der Westbank, der während der zweiten Intifada Hochburg des Terrorismus war. „Heute ist es eine friedliche, prosperierende Stadt, und das in besetztem Gebiet, das hätte ich nicht erwartet.“ Wenn Nablus sich positiv entwickelt – glaubt er, dass es bald Frieden geben könnte? „Nicht mit Netanjahu!“, sagt Frank Schätzing entschieden. „Er herrscht durch seine Fähigkeit, Feindbilder aufzubauen und sie zu pflegen.“

Lektionen eines Kriegsreporters

Die Recherchezeit in Israel war so intensiv wie alles, was der Kölner in Angriff nimmt. Er hat nicht nur geschaut und zugehört, was Israelis und Palästinenser zu sagen haben, und sich seinen eigenen Reim darauf gemacht. Er hat auch gefilmt, um schließlich von Köln aus seinen Helden mithilfe dieser Aufnahmen durch dunkle Gassen jagen zu können. Genau recherchiert hat er auch für die Passagen, in denen er vom Kriegsreporteralltag erzählt, aber mit mehr Distanz. „Ich war nicht in Afghanistan, Libyen und Syrien, weil das zu gefährlich ist“, sagt Schätzing. Er hat keinen Journalisten begleitet, aber „Bild“-Chefreporter Julian Reichelt ausführlich befragt. „Der jüngste Krisenreporter Deutschlands, der allerdings schon durch jeden Mist gekrochen ist“, meint er, und den er sehr schätze.

Geschrieben hat er in seinem Büro, das fast schon eine Bibliothek ist. Hier sind alle Bücher griffbereit, die er braucht. In diesem Raum hat er sich in seine Romanwelt zurückgezogen, oft acht, neun Stunden am Tag, und ist schließlich mit einem dicken Schmöker wieder aufgetaucht: Seit dem „Schwarm“ macht Frank Schätzing es nicht mehr unter 950 Seiten. Was will er mit dem Thriller erreichen, der ausführlich von Israel erzählt? „Nichts“, sagt er und lehnt sich zurück. „Ich will unterhalten, und zwar vor allem mich selbst. Ich schreibe die Bücher, die mich interessieren.“

Er hat 20 Jahre in der Werbebranche gearbeitet, hat auch selbst eine Agentur gegründet und weiß, wie man Bücher lanciert. „Limit“ etwa hat er mit einer aufwendigen Multimedia-Show, mit Filmen und von ihm selbst komponierter Musik dem Publikum vorgestellt. Aber der Werber kommt, darauf legt er großen Wert, immer erst nach dem Schreiben eines Buchs zum Vorschein, nicht schon währenddessen: „Ich arbeite als Autor nicht für einen Markt und seine Bedürfnisse. Und ich will keine Botschaften vermitteln.“ Daran hält er fest.

Rockstar im nächsten Lebenskapitel

Doch bei der Leidenschaft, mit der er sich mit seinen Themen auseinandersetzt, liegt es nahe, dass er zumindest hofft, seine Leser zum Nachdenken anzuregen. Er greift schließlich keine Plauderthemen auf. „Der Schwarm“, der Thriller, den er nach kürzeren historischen Romanen und Krimis 2004 veröffentlichte, befasst sich mit der Meeresverschmutzung und der danach folgende Schmöker „Limit“ mit der Ressourcenausbeutung auf dem Mond in einer nicht allzu fernen Zukunft.

Auf der LitCologne, an sechs Abenden hintereinander, und der Leipziger Buchmesse wird er auftreten und im Herbst 2014 auf große Lesereise gehen. Ob es mit der seit Langem geplanten Hollywood-Verfilmung vom „Schwarm“ in diesem Jahr endlich losgeht, ist noch offen. Frank Schätzing schaltet jetzt erst einmal einen Gang zurück und wird sich mehr der Musik widmen. „Ich habe mir zu Hause ein Tonstudio einbauen lassen und kann mir vorstellen, eine Band zu gründen.“ Er selbst wäre dann, wie in seinen jungen Jahren auch schon, als Komponist, Gitarrist und Sänger dabei. „Mit 56 bin ich genau im richtigen Alter für eine Rockband.“ Er lacht, und man kann sich gut vorstellen, wie er auch dieses Projekt mit Elan angeht und Spaß an der Musik hat, am Zusammenspiel mit Freunden, am Auftritt vor Publikum – bevor er wieder abtaucht, um am nächsten Buch über ein Thema zu arbeiten, das ihm wichtig ist. Welches das sein wird, verrät er noch nicht. Nur so viel: Es liegen, wie immer, schon mehrere in der Schublade.

Frank Schätzing: Breaking News. Kiepenheuer & Witsch, 976 Seiten, 26,99 Euro, als E-Book erhältlich

Hörbuch
Gelesen von Oliver Stritzel und Hansi Jochmann, der Hörverlag, 2000 Min./3 MP3-CDs, 26,99 Euro

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