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Reemtsma und Wieland

Dass er das Schwerlesbare leicht zu Gehör zu bringen vermag, hat Reemtsma bereits bei den Aufnahmen verschiedener Romane von Arno Schmidt bewiesen. Schmidt, literarischer Eigenbrötler und wohl einer der bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit, pflegte einen ganz eigenen Stil, schuf eine spezielle, lautmalerische Orthografie, die sich für den Ungeübten schwer lesen lässt. „Manche Leute kommen extra in meine Lesung, um zu sehen, dass man diesen oder jenen Roman nicht vorlesen kann. Dann gehen sie raus und sagen, jetzt habe ich den Autor erst verstanden“, berichtet Reemtsma amüsiert. Er ist davon überzeugt, dass man verstehen muss, was man vorliest. Das sei nicht immer gegeben, unterscheide aber den guten Vorleser von dem schlechten. Die Sprechausbildung eines Schauspielers befähige diesen noch nicht zum guten Sprecher literarischer Werke. Gleichwohl gibt es Schauspieler, deren Vortrag von Literatur unübertroffen gut ist. Zum Beispiel Gert Westphal. Dessen Lesung der Buddenbrooks schätzt Reemtsma ganz besonders. „Westphal liest Thomas Mann besser als Thomas Mann“, lautet sein Urteil. Thomas Mann sei – obwohl durchaus ein guter Vorleser – zu eitel gewesen, zu verliebt in seine eigenen Sätze.

Von gekürzten Lesungen , unabhängig davon, wie gut die Kürzungen vorgenommen wurden, hält Reemtsma wenig: „Vieles aus der Fülle, die ein Roman enthält, geht mit den Streichungen verloren.“ Auch die Tendenz der Aufbereitung literarischer Stoffe zu Hörspielen findet seine Zustimmung nicht. Er bevorzugt den Originaltext in seiner Originallänge. Im Hörbuchbereich sieht Reemtsma eine „merkwürdige Konjunktur“ und vor allem nichts Neues: „Im alten Rom wurde während des Essens Homer rezitiert und man hat sich dabei unterhalten“, erzählt er und setzt hinzu: „Ich weiß allerdings nicht, wie die Rezitatoren das fanden“. Das 18. Jahrhundert sei eine ausgesprochene „Vorlesezeit“ gewesen und erst das 19. Jahrhundert sei zu einer „Zeit des Alleinlesens“ geworden. Nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir das Vorlesenlassen wieder für uns entdeckt – allerdings allein, auf einem Tonträger konserviert und beliebig oft abgespielt.

 

  • Nach seiner Lesung im Hamburger Ernst-Deutsch-Theater unterhielt sich Jan Philipp Reemtsma mit hörBücher-Redakteur Jörn Radtke.

Eine Wiederentdeckung , die auch Wieland dank Reemtsma bei einem breiteren Publikum zu einer Renaissance verhelfen könnte: Er, der bedeutende Vertreter der Spätaufklärung, der in Weimar wirkte, zeitgleich mit Goethe, der den älteren Kollegen respektierte, geriet nach seinem Tod für lange Zeit in Vergessenheit. Sein Witz, seine Ironie, seine Freimütigkeit galten als „undeutsch und unkeusch“, die Leser ließen den Dichter links liegen. Auch die Literaturwissenschaftler nahmen kaum Notiz von ihm. Und doch gab es immer wieder auch solche, die Wieland zur Lektüre empfahlen. Wie Arno Schmidt, der konstatierte: „In Deutschland haben wir ein ganz einfaches Mittel, einen intelligenten Menschen zu erkennen: wenn er Wieland liebt.“ Gleichwohl: Niemand muss an seiner Intelligenz zweifeln, nur weil er von Wieland noch nicht gehört hat. Ihn nicht zu kennen, lässt keine Rückschlüsse auf den IQ zu. Wer aber mit seinen Versen und seiner Prosa in Berührung kommt, ohne dass sie ihn berühren, der sollte sich ernsthaft Gedanken machen.

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