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Kampf um Akzeptanz

Out in Georgia

In Georgien entwickelt sich derzeit eine erste queere Literatur, denn Homosexuelle und Transgender erkämpfen sich zunehmend mehr Akzeptanz und eine eigene Szene. 

 
VON ANGIE MARTIENS 
 
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts kennt die deutschsprachige Literatur Themen und Figuren, die wir heute als queer bezeichnen. Damals lebte eine erste schwul-lesbische Subkultur auf. Eine solche Literatur aus der Community der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Queers (LGBTQ) ist in Georgien gerade erst im Entstehen. Unter den Jüngeren wächst der Mut zum Outing, und so steigt auch seit etwa fünf Jahren die Zahl an publizierten Texten, die sich entsprechenden Themen zuwenden. Darunter Davit Gabunias Roman „Farben der Nacht“, der „Queeres nicht offen zur Programmatik hat, sondern einfach ein Stück Literatur mit schwulen Figuren ist“, so Gabunia. Eine Literatur, die offensiv aktivistisch ist und klare Verurteilungen trifft, könne an festgefahrenen homophoben Ansichten nur abprallen – und die sind weitverbreitet in dem Land, in dem die georgisch-orthodoxe Kirche äußerst mächtig ist und staatlich unterstützt wird. Die subtile Strategie des Autors, der bislang vor allem für das Theater schrieb, ging auf: Der Roman wurde in Georgien breit rezipiert – wenngleich er in der eigenen Community kaum gelesen wird. Dennoch ist die queere Literatur noch weit vom georgischen Mainstream entfernt. 
 
„Vor 20 Jahren gab es uns Homosexuelle noch nicht einmal“, erklärt Gabunia, „man sprach darüber nicht und wenn, hieß es nur: ‚Solche Leute‘ wie Freddie Mercury gäbe es irgendwo da draußen, aber nicht hier. Vor zehn Jahren wurde Homosexualität dann zum Thema und vor fünf Jahren wurde es gefährlich für uns.“ Denn 2013 wurde der noch sehr junge LGBTQ-Aktivismus aggressiv zerschlagen. Es hatten sich zum Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie einige Menschen versammelt, um friedlich gegen Diskriminierung zu protestieren. Von Tausenden Gegnern wurden sie verbal und körperlich angegriffen, durch Tiflis‘ Straßen gejagt und eingekesselt. Mit dem Eingreifen zögerte die Polizei lange, sodass der Tag gegen Homo- und Transphobie für die LGBTQs zu einer traumatischen Tortur wurde. „Diese Gegner formieren sich unter dem ‚Gegen- Gay-Pride‘-Banner, was absurd ist, denn es gibt diesen Stolz in den Straßen von Tiflis überhaupt nicht“, erzählt Gabunia. 
 
Ein Blick in queere Lebensrealitäten verdeutlicht das. Homosexualität ist zwar entkriminalisiert und ein Antidiskriminierungsgesetz gibt es auch, doch die Sicherheit queerer Personen ist faktisch bedroht. Verbale und physische Angriffe gehören zum Alltag, berichtet die Autorin und Menschenrechtsaktivistin Tamar Tandaschwili, deren fiktive Romane von der sehr realen homophoben und patriarchalen Gewalt erzählen. LGBTQ-Demonstrationen werden unzureichend gesichert. „Hinzu kommt, dass Homosexuelle und Transgender oft aus der Familie geworfen werden und damit den Zugang zu Ressourcen verlieren. In Georgien ist die soziale Versorgung ja nicht Aufgabe des Staates, sondern der Großfamilie. Junge Menschen erhalten kulturelle, soziale und materielle Ressourcen nur über ihren Clan. Nach dem Rausschmiss wird die LGBTQ-Community zur Ersatzfamilie, doch die Ressourcen kann sie nicht ersetzen. Sie sind deshalb häufig in großer finanzieller Not und haben keinen Zugang zu Bildung.“ 
 
Die Lage ist schwierig, doch auch Fortschritte werden sichtbar. Dazu trägt besonders ein Techno-Club in Tiflis bei. In dem mittlerweile international beliebten Club Bassiani, der sich offen mit LGBTQs solidarisiert und in Zusammenarbeit mit der Community die queere Partyreihe Horoom veranstaltet, kommen junge Partywillige und die vermeintlich „Perversen“ zusammen und raven ohne Übergriffe durch die Nacht. Gerade aus nahen Ländern mit weitaus schlechterer Menschenrechtslage, etwa dem Iran, reisen derzeit viele nach Tiflis, um in die wachsende queere Szene und ihr Nachtleben einzutauchen. 
 
Eine Gruppe gerät jedoch stets in Vergessenheit: Trans Personen sind nach wie vor besonders bedroht, berichten Gabunia und Tandaschwili. Sich tagsüber offen als trans zu erkennen geben, sei nicht möglich. Alle paar Monate wird eine trans Person ermordet. Meist müssen sie ihr Geld mit Sexarbeit verdienen, was sie in besonders gefährliche Situationen bringt. Auch innerhalb der queeren Community seien sie die Ausgestoßenen, weshalb eine Drag-Kultur mit Drag Queens als umfeierten Stars hier undenkbar sei, so Gabunia. 
 
Zum Veröffentlichen queerer Literatur gehört in Georgien also durchaus Mut, wenngleich die intellektuelle Literatur- und Verlagsszene sehr offen und tolerant ist. Von Anfang an dabei ist die Autorin Tamta Melaschwili, die in Deutschland bekannt wurde, weil ihr Roman „Abzählen“ 2013 den Deutschen Jugendbuchliteraturpreis gewann (siehe S. 21). Schon vor zehn Jahren publizierte sie die lesbische Kurzgeschichte „Das andere Grau“, übersetzt in der Anthologie „Bittere Bonbons – Georgische Geschichten“. „Damals war die queere Szene noch völlig anders: still und verschlossen, was sich in gewisser Weise auch in der Kurzgeschichte spiegelt. Das lesbische Thema ist mir politisch wichtig. Ich schreibe viel über marginalisierte Frauen und lasse die Stimmen sprechen, die ignoriert werden.“ Auch Gabunia stellte bereits 2005 anonym zwei schwule Geschichten online, doch sei die Gegenwehr damals noch so massiv gewesen, dass er daraufhin das Schreiben für einige Zeit gänzlich aufgab: „Ich wollte mich meinen Texten widmen können, indem ich über ein schönes Schreiben nachdenke, nicht indem ich ihnen voller Nervosität begegne und für sie kämpfen muss.“ 
 
Die bisher übersetzten Werken stimmen mitunter traurig. Sie erzählen von unerfüllter Liebe, Vergewaltigung und Mord. Gabunia spricht hier von Viktimisierung: Die queere Literatur Georgiens zeichne ihre Figuren häufig als Opfer. Dass ich die Texte pessimistisch finde, können nicht alle AutorInnen nachvollziehen. Vorerst scheint es ein wichtiger Schritt zu sein, immer wieder deutlich auf die Situation aufmerksam zu machen – auch in der Literatur. Und während dieser Artikel entsteht, läuft in den deutschen Kinos der Film „Love, Simon“, in dem ein schwuler Teenager ein romantisches Happy End auf dem Kirmesriesenrand erfährt, und erinnert mich daran, wie lange es auch hier brauchte, bis queere Geschichten ganz ohne erschütterndes Drama erzählt wurden. 
 
Übersetzt von Tamar Rekk-Kotrikadze 
Wieser, 120 Seiten, 16,90 Euro
 
Diverse ÜbersetzerInnen 
edition fünf, 256 Seiten,
22 Euro
 
Übersetzt von Rachel Gratzfeld 
Rowohlt, 192 Seiten, 20 Euro

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