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Fotos: Concorde Filmverleih 2014

Megaseller-Verfilmung

Aus dem Fenster auf die Leinwand

Mittlerweile verschwindet der derzeit bekannteste Hundertjährige auch im Kino und DVD.  Erfolgsdruck spürte Felix Herngren bei der Umsetzung des über 400-seitigen Megasellers nicht. BÜCHERmagazin erklärte der Regisseur, welche Herausforderungen er zu meistern hatte.
von Sonja Hartl


Der Erfolg dieses Buches war so überraschend wie die Fersenflucht seines hochbetagten Protagonisten. Allein in Deutschland wurde Jonas Jonassons Erstlingswerk „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ zwei Millionen Mal verkauft. Es blieb rund 100 Wochen an der Spitze der Spiegel-Beststellerliste, stand allein 32 Wochen lang auf Platz 1 und ist weltweit in 22 Sprachen übersetzt sowie in 35 Ländern erschienen. Für eine Verfilmung scheint die Bürde deshalb groß zu sein – Vergleiche mit „Forrest Gump“ waren schon in den Kritiken der Feuilletons zu lesen. Regisseur Felix Herngren, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, bleibt indes gelassen: „Ich adaptiere lieber einen erfolgreichen Roman, an dessen Verfilmung hohe Erwartungen gestellt werden, als einen Blindgänger, auf den sich niemand freut“, erzählt der Schwede im Gespräch mit BÜCHERmagazin. „Ich habe das Buch vor drei Jahren von einem Freund und Kollegen erhalten, der meinte, wir sollten die Adaption zusammen machen. Nach einigen Seiten hatte ich mir einen Film ausgemalt.“

Tatsächlich liest sich das Buch bereits sehr filmisch: Allan Karlsson büxt an seinem 100. Geburtstag aus dem Altenheim aus, stiehlt einen Koffer und begibt sich auf eine turbulente Reise durch Schweden. Unterwegs trifft er einen alten Dieb, einen Imbissbudenbesitzer und schließlich eine resolute Frau samt Elefantendame, die ihn auf seinen Abenteuern begleiten. Zugleich erfährt der Leser vom bisherigen Leben des autodidaktischen Sprengstoffexperten, das ihn von Schweden nach Spanien über die USA und Russland bis nach Indonesien führte und mit allerhand berühmt-berüchtigten Personen zusammentreffen ließ. Diese Mischung war es, die Felix Herngren beim Lesen begeisterte: „Allan Karlsson ist gerade 100 geworden und erlebt das Abenteuer seines Lebens, während andere in seinem Alter von den meisten vergessen sind und ausdruckslos eine Wand anstarren. Außerdem ist die Geschichte fantastisch für einen Film: Sie basiert zum größten Teil auf komödiantischen Situationen und hat diesen wunderbar verdrehten, leicht absurden Ton, den ich liebe.“

Dennoch ist die Verfilmung eines Buches mit über 400 Seiten ein gewaltiges Unterfangen. „Allein das Hörbuch dauert fast 14 Stunden, während der Film nicht länger als zwei sein sollte. Deshalb mussten wir wichtige Entscheidungen treffen, die zumindest einen Hauch von Jonas Jonassons fantastischer Sprache im Film widerspiegeln.“ Das ist insbesondere am Anfang des Films gelungen. Er setzt nicht mit der Flucht des Seniors aus dem Altenheim ein, sondern zeigt den alten Allan an den letzten Tagen in seinem Haus, konfrontiert mit dem brutalen Tod seiner Katze Molotow durch einen Fuchs. Allans Rache ist ebenso konsequent wie kompromisslos: Er bindet einige Stangen Dynamit und Würstchen zusammen, legt die Sprengfalle aus und wartet auf den Fuchs. Für die Bestsellerverfilmung ist es ein herrlich schwarzhumoriger Einstieg, der sowohl bestens in die Tradition skandinavischer Komödien passt als auch die absurde Komik des Buches einfasst. Zugleich wird auf diese Weise bereits ein Teil des Buches gestrafft.

Es brauchte seine Zeit, bis Felix Herngren und Drehbuch-Co-Autor Hans Ingemansson eine stringente Filmversion über 114 Minuten ausgearbeitet hatten. In der Gegenwartsgeschichte spielen beispielsweise der Kommissar und der Imbissbudenbesitzer kleinere Rollen. Die Gangster-Geschichte um den gestohlen Geldkoffer steht im Fokus – statt in Schweden sitzt der Oberboss im Süden und wartet dort auf die Millionen. Eine gut gemeinte Idee, die mit zu viel Slapstick umgesetzt wurde. Gelungener ist hingegen das Weglassen des Asienteils, die eine Änderung des Endes bedingte. „Das letzte Drittel des Buchs ist sehr literarisch. Wir brauchten einen komprimierten Schluss für ein gutes Finale im Film“, erzählt der Regisseur. Auf der Leinwand ist das Ende des Rentner-Roadtrips weniger kitschig und weitaus glaubhafter als im Buch. Vom Urheber des Hundertjährigen hatten die Drehbuchautoren bei allen Entscheidungen volle Rückendeckung: „Jonas sagte, dass wir so viel ändern sollen, wie wir wollen. Das war natürlich eine wunderbare Unterstützung. Denn nur mit kühnen Änderungen wird aus einem guten Buch auch ein guter Film.“ Am Entstehungsprozess wollte Jonasson sich nicht beteiligen.

„Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist ein Film, bei dem sehr viel von der Besetzung der Hauptrolle abhängt. Er erzählt im Prinzip die Geschichte eines Mannes von seiner Geburt bis zu seinem 100. Geburtstag. „Es war eine der ersten Entscheidungen, Allan mit Ausnahme der Kindheitsszenen von einem Schauspieler verkörpern zu lassen. Die Welt dieses Films wäre wohl noch schwieriger für die Zuschauer greifbar gewesen, wenn sich mehrere Darsteller abgewechselt hätten.“ Für die wichtigste Figur kam laut Felix Herngren nur einer infrage: „Robert Gustafsson ist der einzige schwedische Schauspieler, der diese Rolle auf dem Niveau spielen kann, das ich suchte. Niemand ist so wandlungsfähig und spielt dabei so glaubwürdig und mit einem so perfekten, komödiantischen Timing.“ Der 49-Jährige überzeugt als Hundertjähriger in allen Lebensabschnitten, passt seine Motorik und Mimik dem Alter an – für die Haut- und Haarveränderungen war allerdings Profi-Make-up notwendig.

Als letzter Feinschliff wurde die dominante Erzählerstimme aus der Romanvorlage gestrichen. Stattdessen blickt Allan persönlich auf sein ereignisreiches Leben zurück. „Ich hatte die Sorge, dass Allan als kalter Mensch wahrgenommen werden könnte, weil er leise und oft passiv ist. Indem wir seine Gedanken hörbar machten, konnten wir das vermeiden.“ Diese wie auch die anderen von Herngrens Entscheidungen tun dem Film gut. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist eine gelungene Buchumsetzung, deren Schwächen im zweiten Teil nur wenig die Unterhaltung trüben. Neben dem Vergnügen sieht der Regisseur auch eine Botschaft in seinem Werk: „Fragt ältere Menschen nach ihren Erlebnissen in ihren langen Leben. Es gibt viele Geschichten aus der Vergangenheit, die wir teilen und aus denen wir lernen können.“ Diese Botschaft wird viele erreichen. Während in Deutschland der Hundertjährige ab dem 20. März auf der Leinwand aus dem Fenster steigen und verschwinden wird, läuft der Film in Schweden schon seit Ende 2013 – auf Rekordjagd. Eineinhalb der 9,5 Millionen Schweden strömten schon in die Kinos. Der Erfolg wird wohl weitergehen, nur dass es längst keinen mehr überrascht. Und einen Rat, dem wir uns unbedingt anschließen möchten, gibt Regisseur Herngren den Zuschauern auch noch mit: „Bringt keine lauten Snacks mit ins Kino!“


 

 

 

 

 

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Concorde Home Entertainment, 111 Minuten, ca. 1195 Euro,
DVD-Start: 7. August 2014

 

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