Jump to Navigation

Lyrik, Idealismus und das Zeug, mit dem man das Klo putzt

Erich Fried, du Fascho-Sau!

Literatur passiert. Ständig. Überall. Wirklich, man kann kaum kaum einen Pflasterstein hochheben, ohne dass – diesmal geht es um Lyrik. Und Idealismus. Und Urin.

Die Damentoilette der Philosophischen Fakultät einer traditionsreichen Kleinstadt-Uni, zweite Kabine von rechts, an einem verregneten Spätsommermorgen. Ich bin 19, und der Regentag ist der erste meines Literaturstudiums. Obwohl es ätzend nach Reinigungsmittel riecht, atme ich tief durch, denn in wenigen Minuten werde ich endlich die klugen Leute treffen. Die abgeschabten Tische und zerstörten Stühle im Foyer bestärken mich in dieser Hoffnung. Intellektuelle legen wenig Wert auf Äußerlichkeiten, das weiß ich aus dem Fernsehen.

Die Klowand ist grau und aufreizend dünn. Zwischen Liebeserklärungen und Zeichnungen von Geschlechtsteilen hat jemand Frieds „Maßnahmen“ an die Wand geschrieben: „Die Faulen werden geschlachtet, / die Welt wird fleißig. / Die Hässlichen werden geschlachtet …“ Ich runzle die Stirn. Für mich stehen „Die Maßnahmen“ auf einer Stufe mit „Sind so kleine Hände“. Aber vor Kurzem habe ich beschlossen, die Welt zu mögen. „Die Leute hier nehmen ihre Ideale eben ernst“, sage ich zu mir selbst, „nicht so wie du, du dekadentes Stück Dreck.“ Unter der letzten Strophe – „Die Bösen werden geschlachtet, / die Welt wird gut.“ – hat jemand eine weitere ergänzt: „Leute wie E. Fried werden geschlachtet, / weil sie Faschisten sind.“ Ich jaule unwillkürlich auf. Neben der zweiten Strophe steht in einer Handschrift, der man die Einserschülerin ansieht: „Ich bin schön und hässlich und froh, so vielschichtig zu sein! In einer solchen Welt möchte ich nicht leben!“ Das denke ich auch gerade, aber aus anderen Gründen.

Wie unter Zwang sehe ich in den folgenden Jahren dem Fried-Kommentar beim Wachsen zu. „Nazis vergasen!“ fordert jemand in Edding, und ganz kurz überlege ich, ob ich darauf aufmerksam machen soll, dass der Dichter einer jüdischen Familie entstammt und welche Art von Diskussion das auslösen würde. Aber ich lasse den Edding wieder sinken. Auf dem Boden ist ein interessanter Urinfleck.
Es dauert ein Jahr, bis jemand anfängt, Fried zu verteidigen. Er sei „der größte Pazifist und Kommunist“ gewesen, heißt es. Zum Beweis zitiert man ihn mit der Äußerung, Ulrike Meinhof sei „die größte deutsche Frau seit Rosa Luxemburg“.

Die Klowand existiert noch heute, man kann sie besichtigen. Der jüngste Eintrag drängt sich entsetzt gegen den Toilettenpapierhalter und lautet „Ihr Idioten!“
 

Themenwelten

Senioren, Greise, Silver Surfer

Senioren, Greise, Silver Surfer

Alte Menschen in der Literatur

Vom Eise befreit

Vom Eise befreit

Frühlingsliteratur

Über das Denken

Philosophie für Kinder

Von Geburt an Philosophen

Wer sind die anderen?

Afrika

Der so genannte dunkle Kontinent

Familiengeschichten

Vater, Mutter, Kind, Krieg

Familiengeschichten

Wirtschaftskrisenwerke

Wirtschaftskrisenwerke

Über Gier und Risiko