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Fotos: Peter Einheuser

Was und wie lesen sie eigentlich, die Deutschen?

Das Lesen der Anderen

Jede Woche filmt Martin Scharfe vier Menschen dabei, wie sie aus ihren Lieblingsbüchern vorlesen. Der Berliner hat Aktmodelle und Insolvenzverwalter, Bürgermeister und Designer,  Schachspieler und Tänzer vor die Kamera gebeten. Jetzt schickt er seine Idee quer durch den deutschsprachigen Raum. Zu sehen ist das „Panoptikum des lesenden Volkes“ auf VolksLesen.tv.


Sehen Sie den Leuten auf der Straße mittlerweile ihre Lieblingsbücher an?

Nee. Am Anfang dachte ich auch, dass ich irgendwann ein Gefühl dafür haben würde, wer was vorliest. Aber ich bin doch jedes Mal überrascht. Bundestagsabgeordnete lesen nicht anders oder besser als Obdachlose, und meine Friseurin liest Platons „Dialoge mit Sokrates“. Ich glaube, Lesen ist komplett individuell.

Wie hat sich die Idee zu VolksLesen.tv entwickelt?

Das war eine klassische Schnapsidee. Vor viereinhalb Jahren habe ich in Zürich an der Kunsthochschule gearbeitet. Eine gute Freundin von mir hat ein Restaurant in der Stadt. Da konnte ich immer essen, ohne zu bezahlen, und das rettet einem in Zürich das Leben. Und dort habe ich eine Lesung gemacht, „Das Schloss“ von Kafka, denn das Restaurant hieß „Das weiße Schloss“. Das war klasse.

Und dann?

Zuerst dachte ich, ich könnte den Text noch einmal einlesen und auf Youtube stellen. Aber ich mit Kafka auf Youtube, das ist doch auch völlig albern. Das habe ich morgens um drei in der Kneipe ein paar alten Freunden erzählt. Und da hat Muffi gesagt: „Wenn du das machst, dann lese ich auch, und zwar Remarque.“ Und Falco wollte Lenin lesen und Bex Goethe und Udo aus dem Alten Testament. Als ich morgens um fünf nach Hause ging, war die Idee fertig.

Ihre ersten Leser waren also Freunde und Bekannte.

Ja. Bald hatte ich zwanzig Lesungen zusammen. Da schickte ich meine erste Pressemitteilung raus und meinte, jetzt müssten sich Leute melden, die etwas vorlesen wollen. Aber es meldete sich niemand. Also musste ich mir meine Leser selbst organisieren. Und so kam ich auf die Idee, jede Woche eine bestimmte Personengruppe lesen zu lassen.

Welche Lesung hat Sie besonders beeindruckt?

Die von Elfriede Brüning, Augenzeugin der Bücherverbrennung und DDR-Schriftstellerin. Damals war sie 98 Jahre alt, vor Kurzem ist sie hundert geworden. Die liest einen eigenen Text über die Bücherverbrennung und Passagen aus drei verbrannten Büchern. Ich dachte, Elfriede - das ist eine Gruppe für sich. Das Gebiss klappert ein bisschen, aber im Kopf glasklar. Sie ist einfach eine großartige Frau.

Welche Lesung war besonders schwierig zu machen?

Die von Gregor Gysi. Gysi las „Faust“. Er hatte sich die Kerkerszene ausgesucht, weil die ihn immer befeuert hat, zum Beispiel im Kampf gegen Paragraph 218. Er las sechs Minuten lang, dann passierte ihm ein Stolperer. Ich hab‘ gesagt: „Na, Herr Gysi, fangen Sie noch mal beim vorigen Absatz an, ich schneide das dann zusammen.“ Aber er wollte den Text lieber noch einmal komplett einlesen. Ein Perfektionist. Zweiter Versuch. Nach der zehnten Minute war meine Speicherkarte voll. Nächster Versuch. Eigentlich läuft alles super, aber nach acht Minuten fasse ich mir an die Nase. Und er hört auf zu reden und fragt: „Was? Stimmt was nicht?“ Und ich sage: „Herr Gysi …“ (lacht) Insgesamt hat das eine Stunde gedauert. Danach war ich fertig. Und er, glaube ich, auch.

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