Schluss mit dem Bild einer angestaubten öffentlichen Bibliothek
Am 6. Juni ging der 103. Deutschen Bibliothekartag zuende. Grund genug für das BÜCHERmagazin bei der Bundesvorsitzenden des Berufsverbands Bibliothek und Information Kirsten Marschall nach einem Fazit zu fragen.
Frau Marschall, der 103. Deutsche Bibliothekartag ist kürzlich in Bremen zuende gegangen. Wie lautet Ihr Fazit?
Kirsten Marschall: Ein mit über 4 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr erfolgreicher Bibliothekartag. Es gab ein spannendes Programm zu den aktuellen Trends in Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Politische Themen wir die Sonntagsöffnung in Öffentlichen Bibliotheken oder der „Bremer Appell“ zur Besteuerung von Print- und eMedien wurden angestoßen und die Stimmung war einfach toll.
Im Fokus der Diskussionen stand zum einen der Umgang mit digitalen Medien. Wie „digital“ sind Bibliotheken heute aufgestellt?
Wir sind mit digitalen Medien aller Art, der Vermittlung von Anwendungskompetenz und neuen Formaten zum Beispiel für digitale Medien in der Frühförderung von Kindern sehr gut aufgestellt. Die virtuellen Medien sind aus den Bibliotheken nicht mehr wegzudenken und wir sind so digital, wie es die Verlage zulassen; da wünschen wir uns noch viel mehr.
Wie groß ist die Nachfrage nach E-Books in öffentlichen Bibliotheken?
Fahren Sie in Hamburg mal U- oder S-Bahn, da können sie jeden Tag live erleben, wie verbreitet die digitalen Medien sind. Bei den Bücherhallen Hamburg haben wir im ersten Quartal 2013 unsere E-Books 70 150 mal entliehen und im gleichen Zeitraum 2014 118 830 Mal.
In diesem Zusammenhang bemängeln die Berufsverbände die bisherige Umsatzsteuerregelung für elektronische Medien. Glauben Sie, dass E-Books zeitnah wie Hörbücher nur mit 7 Prozent besteuert werden?
Unterstützung hat nicht nur der Bremer Bürgermeisten Jens Böhrnsen zugesagt, der Beschluß der Berliner Koalitionsfraktion zur Angleichung der Umsatzsteuer von Hörbüchern ist ein wichtiges Signal. Wann die Umsetzung des Beschlusses kommt, kann ich natürlich nicht sagen, aber ich hoffe, es geht ganz schnell.
Es gibt Stimmen, die besagen, dass Bibliotheken Papiermuseen sind und ihre Aufgaben vom Internet übernommen wurden. Sehen Sie den Treffpunkt Bibliothek durch die virtuelle Parallelwelt in Gefahr?
Nein, überhaupt nicht. In Bibliotheken treffen sich Kunden, um die virtuelle Welt zu nutzen, Kompetenzen zu erwerben, in realen Büchern oder anderen Medien zu stöbern und dann das mit nach Hause zu nehmen, was paßt. Der Ort Bibliothek verändert sich und wir haben sehr hohe Besucherzahlen, die uns zum Lernen ebenso besuchen, wie um in aller Ruhe zu lesen, zu stöbern oder sich weiterzubilden. Veranstaltungen werden immer wichtiger und mit Museen haben wir so gut wie nichts gemeinsam.
Ein weiteres Thema des viertägigen Fachkongresses war die Bibliothek als zeitgemäßer Lern- und Bildungsort. Wo liegen hier bereits Stärken, welche Herausforderungen gibt es?
Unsere Stärken liegen in unterschiedlichen Bereichen. Die Bibliothek ist ein geschützter Raum, wo etwa Jugendliche aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Mädchen und Jungen gemeinsam lernen können, was zu Hause in den Familien nie zugelassen würde. Lebenslanges Lernen bedingt gute, aktuelle Informationen und Materialen, die Vermittlung davon und dazu gehört es auch, zu beraten und unsere Kunden kompetent zu begleiten. Die größte Herausforderung ist es ganz oft, die unterschiedlichen Ansprüche unserer Kunden unter einem Dach zu vereinen. Zonen für Aktivitäten, technische Infrastrukturen zum Lernen, Orte der Ruhe und alles in oft nicht geeigneten Gebäuden. Das Personal bei allen Veränderungen mitzunehmen ist nicht immer einfach und erfordert gute Qualifikationsmöglichkeiten und viel Überzeugsarbeit.
Wo sehen Sie aktuell generellen Handlungsbedarf bei den Öffentlichen Bibliotheken?
Finanziell gut ausgestattet zu werden, um alle Bedingungen für eine moderne, leistungsfähige ÖB bieten zu können und endlich als moderner Lern- und Begegnungsort wahrgenommen zu werden. Schluss mit dem immer noch in vielen Köpfen von Entscheidern verankertem Bild einer etwas in die Jahre gekommenen, angestaubten öffentlichen Bibliothek, wo es leise zugehen soll und die Bibliothekarin das nächste Buch empfiehlt.
Kirsten Marschall ist Bundesvorsitzende des Berufsverbands Bibliothek und Information (BIB), der seit dem Jahr 2000 besteht als Personalverband aller Beschäftigten in Bibliotheken und Informationseinrichtungen fungiert. Die über 6.300 Mitgliedern gehören allen Berufsgruppen der Bibliotheksund Informationsbranche laufbahn- und fachübergreifend an.