Wenn das Wasser versiegt: Tim Staffels neuer Roman
Was geschieht, wenn das Selbstverständlichste zum Privileg wird? Wenn der Wasserhahn trocken bleibt und die Gerechtigkeitsfrage plötzlich nicht mehr abstrakt ist, sondern in der Kehle brennt? Tim Staffels Roman “Wasserspiel”, in diesem Sommer bei Kanon erschienen, macht genau das spürbar – in einer eindringlichen, fast schmerzhaft präzisen Sprache.
Wasser als rares Gut
Im fiktiven Ort Lüren, einer Stadt irgendwo zwischen Postidylle und globaler Realität, ist Wasser ein rares Gut. Nur die Güthoff-Quelle liefert noch – und auch sie steht vor dem Versiegen. Was zunächst wie ein lokales Drama wirkt, entpuppt sich bald als globales Symptom. Staffel spannt einen erzählerischen Bogen von Lüren bis nach Athen, von Detroit bis in das überschwemmte Hasankeyf – und zeigt, dass Wassermangel mitten in unseren Lebensrealitäten angekommen ist. Im Zentrum des Romans steht Roberto Böger, ein Vlogger, der seine digitale Reichweite nutzt, um globale Missstände zu dokumentieren. Roberto filmt, wie in Athen einer Familie das Wasser abgestellt wird. Er zeigt, wie Menschen in Detroit ohne Kanalisation überleben – ein Skandal mitten im Herzen der westlichen Welt. Und doch bleibt er Beobachter, Distanzierter, bis es ihn selbst trifft: Als in seiner Heimatstadt Lüren das Wasser knapp wird, gerät er in einen inneren Konflikt. Staffel gelingt es, diese Wendung glaubhaft und berührend zu erzählen – und damit auch eine Entwicklung in seinem Protagonisten anzustoßen: vom Erzähler fremder Geschichten zum Handelnden in seiner eigenen.
Wasser wertvoller als Öl
Wasserspiel ist ein Roman, der keine Lösungen anbietet – aber Fragen stellt. Wie konnte es so weit kommen? Warum hat der Zugang zu sauberem Wasser – einem Grundrecht – in vielen Regionen seinen Status als öffentliches Gut verloren? Und was bedeutet das für unsere Vorstellung von Solidarität und Verantwortung? Wasser ist in Staffels Roman auch ein Symbol für Gerechtigkeit, für Machtverhältnisse, für den Zustand unserer Zivilisation. Dass ein 12.000 Jahre alter Ort wie Hasankeyf für ein Staudammprojekt geopfert wird, dass Konzerne mit Wasser handeln wie mit Öl, dass in reichen Ländern Wasserarmut Einzug hält – das sind Realitäten, die der Roman literarisch durchdringt. Tim Staffel moralisiert nicht, sondern sensibilisiert. Seine Sprache zieht die Lesenden tief hinein in eine Welt, die unserer eigenen so erschreckend nahe ist.
Mehr Infos zum Roman unter: Tim Staffel – Wasserspiel - Kanon Verlag