In den letzten Tagen des Spanischen Bürgerkriegs flüchtet der republikanische Soldat Oriol im Winter über die Pyrenäen nach Frankreich. Selbst schwer verletzt, doch bis zuletzt noch einen Kameraden stützend, so beschreibt es der letzte Augenzeuge, verschwindet er für immer im Schneegestöber. Der Heldentod von "Onkel Oriol" wird zur Legende der Familie im mexikanischen Exil.
Doch viele Jahrzehnte später stößt ein Großneffe unerwartet auf die Spur des Verschollenen. Eine fast unleserliche Nachricht führt ihn in ein obskures Pyrenäendorf und zu einem steinalten, hünenhaften Ziegenhirten. Aus den Erzählungen des gutmütigen Riesen und einiger anderer Dorfbewohner ergibt sich Stück für Stück ein ganz anderes, erschreckendes Bild des "Helden". Oriol verliert zwar nicht das Leben, aber sonst alles: den Krieg, die Familie, seine Gesundheit, seine Überzeugungen und letztlich auch seine Menschlichkeit.
Jordi Solers kurzer Roman ist beeindruckend. In der Form eines betont nüchternen Berichts des deutlich um Fassung ringenden Neffen beschreibt er die Geschichte eines an Körper und Seele verstümmelten Menschen, der das Grauen übersteht, nur um es selbst weiter zu tragen.
(md)
Wozu der Mensch fähig ist – ein Stück Literatur, das unter die Haut geht:
Oriol, Franco-Gegner und republikanischer Kämpfer, ist bei der Flucht über die Pyrenäen im Schneesturm umgekommen. So weiß es die Familienüberlieferung. Fast siebzig Jahre später jedoch kommt sein Großneffe mit Hilfe eines Ziegenhirten und einer Waldfrau einer unglaublichen Geschichte auf die Spur. Sie erzählt davon, was aus einem Menschen werden kann, der alles verloren hat. Jodi Solers Roman über die menschlichen Abgründe in einer archaisch anmutenden Welt ist ein erzählerisches Meisterstück.
Was machen Menschen, die alles verloren haben, Heimat, Familie, Überzeugungen? Im Lauf des Jahres 1939 stoßen in den Pyrenäen aus entgegengesetzten Richtungen kommend zahllose Menschen aufeinander, denen eben dies widerfahren ist. Während von der spanischen Seite aus Bürgerkriegsflüchtlinge versuchen, sich nach Frankreich zu retten, fliehen aus der Gegenrichtung immer häufiger Menschen vor den Nazis. Viele von ihnen verlieren elend ihr Leben. Auch Oriol. In seiner Familie wird er seither wie ein Heiliger verehrt. Bis einem Großneffen ein Gerücht zugetragen wird. Nach abenteuerlichen Recherchen steht er schließlich vor dem Mann, der angeblich seit siebzig Jahren tot ist. Und der damals in aussichtsloser Lage alle Prägungen der Zivilisation abgestreift hat.
„(…) ein packender, atmosphärisch dichter, manchmal unheimlicher Roman, klug komponiert, mit wohldosierten Enthüllungs-Häppchen. Es geht darin auch um Freundschaft, Loyalität, Heimatverbundenheit, Selbstachtung und – das ist der surrealistische Aspekt an der Geschichte – um das Tier im Mann.“
Neue Zürcher Zeitung (08.10.2011)