Charlottes Traum

Auf Väter ist kein Verlass. Eben ermahnen sie einen noch, gut auf Mama aufzupassen, die sich draußen im goldenen Bikini sonnt, dann zeugen sie ein Baby mit ihrer barbiehaften Sekretärin. Und auf Mütter ist kein Verlass. Eben noch verlassen sie selbstbewusst den untreuen Gatten und das gemeinsame Haus, dann versacken sie heulend und frustfressend auf der Couch und bringen tagelang kein sinnvolles Wort heraus. Und dann steht man da mit der Verantwortung für zwei kleine Brüder und muss eine Klasse wiederholen, und womöglich verliebt man sich noch. Charlotte ist fünfzehn, als sie sich in einer Situation wiederfindet, die so oder ähnlich viele Jugendliche irgendwann einmal erleben.

Erwachsene gehen oft unsensibel mit den Gefühlen Jugendlicher um, nehmen sie nicht ernst oder zu wichtig, pressen sie in Formen, romantisieren sie. Gabi Kreslehner ist eine Ausnahme. Ihre Ich-Erzählerin ist geradeheraus und unsentimental. Sie erfüllt weder das Klischee des irreparabel geschädigten Scheidungskindes noch das des coolen kindlichen Racheengels. Charlotte ist, mit einem Wort, lebendig.

Doch was Kreslehner mit Charlottes lakonischem Tonfall richtig gemacht hat, macht sie in der Lesung falsch: Sie haucht dramatisch, spricht die Zornigen zu hart und die Traurigen zu weinerlich. Jemand anders hätte dieses Buch einlesen sollen.