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Die Schönsten Liebesromane: Jeanne Wellnitz (jw)

Mario Vargas Llosa: Das böse Mädchen

Die geheimnisvolle Aura des „bösen Mädchens“ treibt den verzweifelten Helden aus Mario Vargas Llosas erotischem Liebesroman in eine tragische Abhängigkeit. Es ist die manische Liebe zu einer Hochstaplerin, deren Narzissmus sein Schicksal besiegeln wird.

„Literatur ist Feuer“ erklärt Mario Vargas Llosa in seiner Essaysammlung „Gegen Wind und Wetter“. Er spricht sich damit, ganz im Sinne Sartres, für eine „engagierte Literatur“ aus, die als „permanenter Protest gegen die Wirklichkeit“ auftritt. Llosa, der Journalist, Literaturwissenschaftler und Kritiker, steht für Perus Sehnsucht nach Frieden und Freiheit. Für sein vielschichtiges Werk wurde er 2010 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Llosa ist neben Gabriel García Márquez einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten lateinamerikanischen „Boom“-Literatur der Sechziger Jahre. In seiner späteren Schaffensphase schreibt der promovierte Nobelpreisträger zunehmend erotische Literatur. Nahezu plastisch erscheint dem Leser „das böse Mädchen“, das dem Protagonisten Herz und Verstand raubt. Eine berauschend-sinnliche Geschichte, die in den Fünfziger Jahren im konservativen Peru beginnt.

Lima, Miraflores: Lily tanzt den Mambo mit einer Anmut, dass dem 15-jährigen Ricardo der Atem stockt. Er bedrängt die kleine Tänzerin, die sich als Chilenin ausgibt, mit stürmischer Ungeduld, flüstert ihr Pablo Nerudas Gedicht „Material nupcial“ ins Ohr – und wird immer wieder abgewiesen. Später geht sie in ironisch-abgeklärter Pose doch noch eine Affäre mit ihm ein, aber verlässt Peru dann unvermittelt.

Flucht in die Stabilität

Ricardo studiert Jura, geht nach Paris und bezieht eine Dachkammer im Hôtel du Sénat. In der Kulturmetropole, ein Sammelbecken für Künstler, Studenten, Abenteurer und Bohemiens, hofft er, das Glück zu finden. Er lernt Englisch und Französisch und legt die Prüfung zum Dolmetscher ab. Der überdurchschnittlich gebildete Ich-Erzähler interessiert sich nach dem Verlust des „bösen Mädchens“ Lily nur noch dafür, eine Festanstellung zu bekommen und den Rest seiner Tage „ohne Höhen und Tiefen“ in Paris zu verbringen. Doch daraus wird nichts.

Er trifft auf „Arlette“, einstige Mambotänzerin „Lily“ aus Peru, nun eine Guerrillera, deren „begehrliches Funkeln“ in den Augen etwas „Kühnes, Spontanes, Provokantes“ verspricht. Das „böse Mädchen“ hat ihn wieder in ihren Fängen. Sie lässt seine Küsse wie eine „Königin die Huldigungen eines Vasallen“ über sich ergehen. Seine „Chilenita“. Sie verbringen ihre erste gemeinsame Nacht. Ricardos sonst so zweckbestimmte Haltung zum Leben zerschellt am obsessiven Begehren, das sie in ihm entfacht. In den erotischen Szenen mit dem „bösen Mädchen“ nimmt Llosas Erzähler kein Blatt vor den Mund. Detaillierte Beschreibungen von Körper und Lust inszenieren hier den sinnlich-zügellosen Text. Der Leser wird zum Voyeur. Der Sommer mit „Arlette“ endet jedoch erneut mit einem kalten Abschied.

Eine mächtige Frau

Zurück zwischen den quälenden Wänden der Einsamkeit versucht Ricardo sein Leben wieder zu ordnen und hofft auf ihre Rückkehr. Drei Jahre sind vergangen, als ihn eine „elegante Dame mit Stöckelschuhen und Pelz“ auf die Schulter tippt: „Was machst du denn hier, guter Junge?“ „Arlette“ hat sich in eine einflussreiche Person verwandelt, geheiratet und nennt sich nun „Madame Robert Arnoux“. Ricardo fühlt sich an den Helden aus Flauberts „Lehrjahre des Gefühls“ erinnert. Auch dieser verfällt einer Madame Arnoux, die seine Gefühle mit ihrem Spiel aus Nähe und Distanz mit Füßen tritt. Erwartet ihn dasselbe Schicksal?

Die Begegnungen mit dem „bösen Mädchen“ finden in fünf Ländern statt, umspannen mehr als vierzig Jahre und sind die Koordinaten des tragischen körperlichen Verfalls einer Femme fatale. Der Held scheint infiziert von der Liebe zu einer Egozentrikerin, die sich von seiner theatralischen Romantik nährt. Sie tauschen nicht nur Worte, Körpersäfte und Küsse, sondern auch Bestrafungen und Schläge. Diese zerstörende Sexualität lässt Grauen und Ekstase zusammentreffen und es entfaltet sich eine mitreißende Poetik der Sinnlichkeit, die den Leser zwangsläufig in die unbarmherzigen Abgründe einer neurotischen Liebe zieht.

Mario Vargas Llosa: Das böse Mädchen. Übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp, 396 Seiten, 9,90 Euro

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