Nebelkerzen statt Feuerwerk
Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit
Peter Sloterdijk holt in „Zorn und Zeit“ zum großen Wurf aus. Mal wieder. Mensch und Weltgeschichte will er neu erklären. Statt eines philosophischen Feuerwerks aber zündet er metaphorische Nebelkerzen, die eines nicht verhüllen: wie wichtig er sich selbst nimmt.
Im letzten Drittel von „Zorn und Zeit“ bringt Sloterdijk die Kernthese seines Buches vermeintlich auf den Punkt: „Sollte das starke Merkmal der aktuellen psychopolitischen Weltlage in einem Satz ausgedrückt werden, er müsste lauten: Wir sind in eine Ära ohne Zornsammelstellen mit Weltperspektive eingetreten.“ Nehmen wir einmal an, dass das, was der renommierte Philosophieprofessor hier schreibt, schon irgendwie Sinn macht. Dann drängt sich doch die Frage auf, was ihn dazu veranlasst hat, es so zu formulieren, dass möglichst wenige es verstehen. Die Antwort darauf, in einem Wort ausgedrückt, muss wohl lauten: Wichtigtuerei. In der Sloterdijk-Sprache muss alles groß- und festgeschrieben werden. Es wimmelt nur so von in Stein gemeißelten Substantiven, Fremdwörtern und vor allem Metaphern, die darüber hinwegtäuschen sollen, dass das, was Sloterdijk in seinem 2006 erschienenen Werk als tiefschürfende Erkenntnisse präsentiert und beispielsweise von der FAZ als „sehr eindrucksvolle (…) Weltgeschichte des Zorns“ gefeiert wurde, gar nicht so komplex ist. Von „Zorngeschäften“ doziert er, von „vagabundierenden Dissidenzquanten“, „Schuldarchiven“, „Zornsammelstellen“ und „Bankformen des Zorns“.
Dabei könnten die wesentlichen Aussagen von „Zorn und Zeit“ durchaus verständlich erläutert werden. In etwa so: Menschen streben nach sozialer Anerkennung. Wird sie ihnen verweigert, werden sie zornig. Um diesen Zorn loszuwerden, entwickeln sie Ideologien, Religionen oder machen Revolution. Der gebündelte, kollektive Zorn wird so zur Triebfeder der Menschheitsgeschichte. Nachdem der Kommunismus zusammengebrochen ist und die jüdisch-christliche Tradition weltweit massiv an Bedeutung verloren hat, entfaltet der Zorn keine globale Wirkung mehr. Es gibt keine Weltideologie, keine Weltreligion mehr. Ende der Weltgeschichte.
Die Idee vom Ende der Geschichte ist nicht sonderlich originell
So gelesen ist die Grundthese von „Zorn und Zeit“ noch immer interessant. Auch wenn die Idee vom „Ende der Geschichte“ nicht sonderlich originell ist. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der sie 1992 unter dem Titel „The End of the History and the Last Man“ veröffentlichte, hat sie mittlerweile selbst relativiert. Sloterdijk aber genügt „interessant“ nicht. Er muss seinen vagen Überlegungen gleich den Anstrich eines großen kulturgeschichtlichen Entwurfes verleihen. Also schreibt er nicht vom Geltungsdrang, sondern vom „Thymos“, erklärt gleichsam im Vorübergehen die einseitige Fixierung auf den Eros als seelische Antriebskraft zum Grundfehler der Psychoanalyse, und verkündet großspurig, erst die „wiederhergestellte Eros-Thymos-Polarität“ erlaube ein umfassendes Verständnis der menschlichen Psyche sowie auch der Weltgeschichte.
Anstatt zu präzisieren, verhüllt Sloterdijk die Botschaft
Deren Ende sieht er gekommen, weil eine neue „Weltbank“ des Zorns nirgends in Sicht sei. Dass der Islamismus diese Rolle erfüllen könne, hält er für „völlig illusorisch“. Die „Rache Gottes“ des islamistischen Terrors sei nur ein „halb komisches, halb makaberes Nachspiel“. Das Ende der Geschichte bedeutet für Sloterdijk allerdings nicht das Ende der Politik. „Große Politik“ kann weiterhin betrieben werden, mit dem Ziel, eine „Weltkultur“ auszubilden, oder wie es bei Sloterdijk heißt: ein „Set von interkulturell verbindlichen Disziplinen“.
In derart gespreizten Formulierungen schlägt sich Sloterdijks persönlicher Thymos unangenehm nieder. Anstatt zu präzisieren, verhüllt er die Botschaft. Schon vor über dreißig Jahren hat der Sprachkritiker Uwe Pörkens Worthülsen wie „Identität“, „Struktur“ oder „Fortschritt“ als „Plastikwörter“ bezeichnet, weil sie eindrucksvoll klingen, aber offen lassen, was wirklich gemeint ist. Bei Sloterdijk sind die Hülsen nun zwar nicht leer, ihr Prinzip aber ist ein ähnliches: „Ihre Aura überwiegt. Ihr Gebrauch etabliert die gesellschaftliche Elite.“ Und denjenigen, die sich nicht dazu zählen dürfen, bleibt am Ende der Lektüre wohl nur der Zorn um die vertane Zeit.
Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit. Suhrkamp, 356 Seiten, 22,80 Euro