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Ulrich Noethen

Wieso waren Sie gerade bei der Haushälterin Mammy zurückhaltend? Für diese Rolle hat Hattie McDaniel als erste schwarze Schauspielerin einen Oscar gewonnen …

Das ist eben genau der Punkt. Gerade an die Figuren, die eine große Bedeutung haben und im ganzen Buch vorkommen, muss man mit besonderer Vorsicht herangehen. Bei der Sprache von Mammy und den anderen Schwarzen kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Im Original hat Mitchell diese Textteile fast in Lautsprache geschrieben, in einem unglaublichen Akzent, bei dem man dreimal hinschauen muss, um ihn zu verstehen. Das kann man höchstens in grammatikalisch unzureichendes Deutsch übersetzen, dem man keinen Dialekt zuordnen kann. Also hatte ich eine komische Kunstsprache vor mir und die Eindrücke aus alten Filmen, wo die Schwarzen mit großen Augen und erstauntem Gesicht herumlaufen und wie Kinder sprechen. Soll man diese Vorurteile in die Lesung mit aufnehmen? Es steht in der Vorlage aber so geschrieben, und ich war dem auch etwas hilflos ausgesetzt. Das sind die schweren Stunden mit diesem Buch gewesen, wo ich mich gefragt habe, wie ich damit überhaupt zu Rande kommen soll.

Sie haben den Frauenstimmen nur dezent eine andere Färbung gegeben. Weil Männer, die Frauen sprechen, oft unfreiwillig komisch wirken?

… und ich eben in erster Linie Anhaltspunkte für den Hörer setzen wollte. Bei den Frauen habe ich in Tonhöhe und Tempo moduliert. Aber das Entscheidende ist, dass ich vor allem bei einer so wichtigen Figur wie Scarlett versucht habe, die Stimme in der Art, wie sie Sachen sagt – direkter und weniger emotional als etwa Melanie – zu modulieren.

Und bei Rhett, einer ebenso wichtigen Figur?

Mitchell beschreibt ihn mit seinem weichen Südstaaten-Singsang, den ich versucht habe, nachzuempfinden. Rhett ist allerdings eine der Figuren, bei denen ich mich bewusst für eine stärkere Färbung entschieden habe. Da gebe ich dem Affen etwas Zucker, immer in dem Bemühen, die Figur nicht völlig zu verraten.

Liegen Sie mit markierten Betonungen oder Pausen immer richtig?

Die Betonungen, die ich vorher gesetzt habe, sind schon korrekt. Dass der Text im Studio eine Eigendynamik entwickelt, ist eine andere Sache. Das hat mit meiner Vorstellung von Schauspielerei zu tun: Wenn ich beim Vorlesen oder vor der Kamera so tue, als wäre ich zu einer endgültigen und wahren Fassung gekommen, dann ist das Humbug. Ich habe mich vorbereitet, bin dann mit dem Text vor dem Mirko allein und werde in ihn hineingezogen, von ihm weggetragen oder gebremst – manche Betonungszeichen sind dann obsolet oder falsch. Würde ich dann die zuvor gesetzten Pausenstriche beachten, würde ich mich total aus dem Rhythmus bringen.

Aber der Regisseur fängt Sie dann wieder ein?

Nein. Der Regisseur ist bei Hörbüchern vor allem der erste Zuhörer. Man einigt sich im Vorfeld über grundsätzliche Dinge, ansonsten ist der Regisseur – anders als beim Film – nicht Spielleiter. Er hat eine große Verantwortung, muss sehr konzentriert zuhören, auf die gedanklichen Bögen achten und eingreifen, wenn die Zusammenhänge nicht deutlich genug werden. Er muss auf Versprecher achten und mich zum Beispiel darauf hinweisen, zwischendurch etwas zu trinken, weil mein Mund zu trocken ist. Das ist enorm anstrengend, zumal die Arbeit es Regisseurs mit der Postproduktion, wenn die Aufnahme bearbeitet wird, erst richtig beginnt. Ich möchte auch gerne den Tontechnikern von Plan4 ein Riesenlob aussprechen, die erstklassig und sehr akribisch gearbeitet haben.

Der Regisseur von „Von Winde verweht“, Alexander Schuhmacher, hat erzählt, dass Sie die Textstellen mit rassistischem Inhalt spürbar Überwindung gekostet haben.

Es ist nicht leicht, Passagen, in denen die Schwarzen mit Tiernamen belegt werden, unkommentiert zu lesen. Aber man muss den Roman im Kontext der Zeit sehen, in der er geschrieben wurde – was im Booklet des Hörbuchs erfreulicherweise getan wird. Doch als Vorleser geht es nicht darum, mein eigenes Denken zu Markte zu tragen. Außerdem sind die Zuhörer mündig. Wem es nicht gefällt, kann vorspulen.

Ist es Ihnen schwer gefallen, über einen so langen Zeitraum die Spannung zu halten?

Das ist nicht einfach. Aber ich mache auch deswegen gerne Hörbucher, weil ich über einen längeren Zeitraum sehr konzentriert bei der Sache sein muss. Es ist alles eine Frage der Vorbereitung und Disziplin.

  • Ulrich Noethen und hörBücher-Chefredakteur Christian Bärmann beim Interview im historischen Berliner Funkhaus in der Nalepastraße.

Und was ist anstrengender: Eine Hörbuch- oder eine Filmproduktion?

Wir waren für dieses Hörbuch fünf Wochen lang jeweils vier Tage im Studio, und das lange Wochenende diente nicht der Entspannung, sondern der Vorbereitung. 70 Seiten am Tag zu lesen, klingt nicht so viel, aber es geht darum, 70 verwertbare Seiten zu machen. Das schlaucht, auch körperlich. Hörbuchmachen ist richtig anstrengend, da ist das Drehen am Set geradezu erholsam – wenn man nicht gerade Szenen hat, in denen man die ganze Zeit Treppen hoch- und runterläuft.

Würden Sie noch einmal so einen „Schinken“ einlesen?

Das kann ich mir absolut vorstellen. Denn es erfüllt mich nun auch mit Stolz, da durchgekommen zu sein und das Gefühl zu haben, das Buch endlich mal gelesen zu haben.

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