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Interview: Emily Walton | Fotos: Paul Schirnhofer

Themen klopfen an

Der Österreicher legt seinen vierten Roman „Indigo“ vor. Ein temporeiches, verworrenes Buch – über eine rätselhafte Störung. Mit BÜCHER spricht der 29-Jährige über seine Themenfindung, Tierschutz und seinen Namen „Der sanftmütige Hase“.

Herr Setz, in Ihrem Buch machen die sogenannten Indigo-Kinder die Menschen in ihrem Umfeld physisch krank. Wie kamen Sie zu diesem Thema?

Es beschäftigt mich mein Leben lang, dass es Menschen gibt, die andere krank machen können – oft durch ihre bloße Anwesenheit. Als Kind dachte ich, ich sei selbst so eine Person. Im Alltag meinen wir dieses „jemanden krank machen“  metaphorisch. Ich aber habe eine Fantasie von einer unsichtbaren, unkontrollierbaren Kraft, die dazu führt, dass man gemieden wird. Natürlich gibt es auch die Umkehrung: Manche Menschen haben eine Macht über andere. Wir wissen nicht warum. Sie sind nicht klüger, haben nicht mehr Waffen. Wir nennen es Charisma. Oder Ausstrahlung. Oder geben dieser Macht irgendeine andere komische Zuschreibung.

Im Buch wird nicht klar, ob das Indigo-Syndrom tatsächlich existiert.

Das Indigo-Syndrom, meine Fantasie, zu erklären oder zu begründen ist nicht meine Aufgabe. Wer weiß, es könnte auch bloß eine Hysterie der Eltern sein! Ich habe solche Situationen erlebt. Ein Kind betritt den Raum und die  Mutter ist am Ende. Burned Out. Jedenfalls ist mir der Gedanke, andere krank machen zu können, immer wieder durch den Kopf gegangen. Ein Zeichen, dass das Thema geschrieben werden musste. Themen klopfen immer wieder an, fragen: „Hast du jetzt Zeit für mich?“ Man setzt sich nicht hin und sucht ein Thema. Das funktioniert nicht.

Das Indigo-Syndrom ist nicht das alleinige Thema des Romans.

Es ist eher ein Vehikel. Persönlich ist mir das Thema der Tiere, das im Roman wie ein Hintergrundrauschen vorkommt, dringlicher. Ich wollte darüber schreiben, wie wir mit Tieren koexistieren. Eigentlich ist das Buch eine Ersatzhandlung für eine andere, wahre Geschichte, die mich bewegt. Sie handelt von einem Affen in einer amerikanischen Auffangstation. Die Bedingungen dort waren entsetzlich. Ein Affe wurde jahrelang mit Schläuchen und Kabeln im Kopf gequält, war völlig traumatisiert. Er hatte nur einen Freund, einen Studenten, der zu ihm durfte. Eines Tages kam der Student mit weißen Kopfhörern im Ohr zum Affen. Beim Anblick der Kabel ist dieser ausgeflippt, hat geschrien und die Drähte zerrissen. Warum? Um seinem einzigen Freund – aus seiner Sicht – das Leben zu retten. Diese Geschichte wäre kontaminiert, wenn ich sie irgendwo auf zwei Seiten integriert hätte. Daher habe ich eine Tangentialgeschichte geschrieben, die sich annähert, aber nie berührt.

Tiere sind in Ihrem Leben wichtig?

Ich bin mit dem Imperativ des Tierschutzes aufgewachsen, meine Freundin ist im Tierschutz aktiv. Ich hingegen setze mich intellektuell mit dem Thema auseinander. Schriftsteller sind so gesehen feig. Man macht sich die Hände nicht schmutzig. Vielleicht wäre es besser, nach Rumänien zu fahren und wahnsinnige Hundezüchter zu stoppen.

Sammeln Sie Geschichten, so wie jene über den Affen?

Ja. Ich merke mir Dinge leicht, muss sie nicht sofort notieren. Wenn ich etwa ein Sachbuch lese, merke ich mir ein, zwei Details. Gerade habe ich etwas über Amöben gelesen. Es gibt eine Riesenamöbenart, die hasenohrenförmig ist und Chaos Chaos heißt. Solche Dinge machen mich glücklich. Es tut mir leid, ich schweife ab. Das ist meine Art zu denken.

Sie haben dem Protagonisten Ihren Namen, Clemens Setz, gegeben. Warum?

Zu Beginn hieß die Figur anders. Ich lerne meine Figuren erst langsam kennen. Irgendwann wurde klar: Das bin ich. Die Figur reagiert auf und denkt über Dinge genauso wie ich. Also war ich ehrlich und habe ihr meinen Namen gegeben. Clemens heißt im Lateinischen „der Sanftmütige“ und Setz, eigentlich Zec, bedeutet auf Kroatisch „Hase“. Das passt zur Figur. Sie ist zu überfordert, um zu verstehen, was in den Situationen passiert. Poesie entsteht hier aus dem Geist der Überforderung.

Wollten Sie sich selbst in einen Roman „hineinschreiben“?

Zunächst war es eine Notwendigkeit, später dann ein Spaß, mich selbst zu beobachten. Es war mir aber nie ein Anliegen, mein langweiliges Schriftstellerleben zu zeigen, das mündet nur am Rande rein. Es geht um die Eigenschaften der Figur Clemens Setz. Dennoch kommt im Buch einiges aus meinem Leben vor:  Clemens Setz hat Mathematik studiert. Clemens Setz kann nicht Autofahren. Er ist da in guter Gesellschaft, auch Peter Handke kann das nicht.

Leser werden versuchen, Parallelen zu Ihrer Person zu ziehen.

Das tut mir nicht weh. Der Roman ist nicht als autobiografischer Bericht zu lesen, aber natürlich dürfen die Leser hineinlesen, was sie wollen. Solange sie mir nicht Sachen zuordnen, die nichts mit mir zu tun haben. Von mir aus sagen wir: „Es ist alles genauso passiert, zumindest das, was in der Zukunft passiert. Alles andere ist erfunden.“ (Anm. Das Buch erstreckt sich bis ins Jahr 2021). Meine Freundin heißt in Realität  wie im Buch Julia. Näher werde ich darauf aber nicht eingehen. Sie hat dem Buch ihre gute Seele geliehen. Andere Leute kommen ebenfalls vor – zum Beispiel mein erster Lektor vom Residenz Verlag. Eine kleine Widmung.

Bereits in Ihren Vorwerken wurden Sie für Ihre erzählerischen Abschweifungen gelobt? Liegen diese in Ihrem Naturell?

Ich denke ja. Ich kann lange reden. Und lange schreiben. Aber es ist mir wichtig, dass das Schreiben eine soziale Tätigkeit bleibt. Ich vergleiche es mit der Improvisation in der Jazzmusik. Du musst hören, wie weit das Publikum dir folgen will. In der Literatur gibt es da einige Vorbilder, durch die ich ein Gefühl für Abschweifungen entwickelt habe, etwa Thomas Pynchon. Die Abschweifung hat leider im Deutschen einen undankbaren Namen. Viel eher ist es ein Hineinzoomen, man nähert sich einem Punkt, einem intensiven Moment, den es zu berühren gilt.

Wie sieht Ihr Schreibprozess aus?

Zu Beginn kenne ich Anfang und  Ende meines Buchs,  Letzteres allerdings ohne konkrete Gestalt.  Dazwischen gibt es rätselhafte Inseln, die mir den Weg weisen. Es klingt abstrakt, ist aber eigentlich eine ganz alltägliche Aufgabe – wie in vielen anderen Berufen auch. Im Schreiben lege ich mir die Zügel der Geschichte eng an, aber es passiert auch, dass das Pferd durchgeht. Ich stehe früh auf, beginne frisch aus dem Traum, schreibe von fünf bis neun oder zehn Uhr. Am Abend kann ich das Geschriebene revidieren.

Sie haben für die BÜCHER-Rubrik „Wörterwelten“ einmal Ihre Lieblingsbücher genannt. Darunter Thomas Pynchon und Philip K. Dick. Inspirieren Sie diese Autoren?

Inspirieren würde ich nicht sagen. Sie generieren eher eine Atmosphäre, dass Dinge erlaubt sind, dass man sich die Freiheit beim Schreiben nehmen darf – etwa über  mechanische Enten zu schreiben, die sich in Menschen verlieben und sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Solche Bücher gehen mir durch den Kopf, eine Stimme ruft mir zu „Trau dich!“. Lesen ist für mich als Autor ungeheuer wichtig. Ein Autor, der nicht liest, ist dazu verdammt, die Literaturgeschichte zu wiederholen, weil er nicht weiß, was in ihr passiert ist.

Ihr Buch spielt im Jahr 2007 sowie im Jahr 2021. In der Zukunft gibt es das überall präsente iBall. Was soll das sein?

Das ist mir selbst nicht ganz klar. Es kann irgendwie alles, wird für alles verwendet. Ich denke, es steht stellvertretend für den Eindruck, den ich von der Welt habe. Es gibt gewisse Erfindungen, die alle haben, die aber überhaupt keinen Sinn ergeben.

In Ihrer Biografie zu diesem Buch steht: „Seit 2008 treten bei ihm die Spätfolgen der Indigo-Belastung auf“. Gibt’s eine Erklärung?

Ich wollte das Buch nicht auf den letzten Seiten enden lassen. Mit dieser Information kann sich jeder Leser selbst etwas vorstellen. Ich will nicht kommentieren, sondern den Lesern kleine Spielzeuge geben und sehen, ob und wie sie damit spielen.

Clemens J. Setz: Indigo. Suhrkamp, 479 Seiten, 22,95 Euro, als E-Book erhältlich

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