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Interview: Jörn Radtke (jr) | Fotos: Peter Peitsch

Feridun Zaimoglu

Von Gartenzwergen und Liebesbränden

Wir kennen uns schon lange, Feridun und ich, oberflächlich zwar nur, aber doch gut genug, um uns Bilder voneinander gemacht zu haben und uns beim Vornamen zu rufen. Seit Feridun es als Schriftsteller zu nationaler Bekanntheit und Anerkennung gebracht hat, ausgedrückt in zahlreichen Preisen und Auszeichnungen, bin ich ihm nur noch selten begegnet, auf der Straße, im Café einige flüchtige Worte wechselnd. Nun soll ich ihn anlässlich des Länderschwerpunkts der Frankfurter Buchmesse 2008 interviewen, schließlich ist Feridun Türke von Geburt und nach seinem Debütroman „Kanak Sprak“ vom Feuilleton zum Sprachrohr junger Türken in Deutschland und zum Fachmann in Integrationsfragen erkoren worden: endlich mal ein Migrantensohn, vor dem man keine Angst haben muss, der gut Deutsch spricht und mit dem man auch als Bildungsbürger reden kann …

Ich vermute, wenn Feridun Zaimolu für sein Erstlingswerk nicht die Subkultursprache türkischer Jugendlicher gewählt hätte, wäre er von der Literaturszene niemals wahrgenommen worden. Und das wäre schade gewesen. Denn so konnte Feridun zeigen, dass er literarisch längeren Atem hat als eine medientaugliche Eintagsfl iege. Er kann nicht nur gut erzählen, er verfügt auch über die sprachlichen Mittel, das auszudrücken, was er sagen will. Nach seinen ersten Romanen schreibt Feridun nun über die Liebe, über Leidenschaft, über das Suchen und das Finden und – natürlich – auch über die Frage nach der Identität. Die Sprache, in der Feridun Zaimolu zuhause ist, ist das Deutsche, seine Stadt Kiel. Beides liebt er wortreich, in beidem hat er seinen Platz gefunden. Sei es die Bäckerei Ecke Lutherstraße/Kirchhofallee und das 50 Meter von seiner Wohnung entfernte Café Prinz Willy, oder seien es seine zahlreichen Romane, Erzählungen und Theaterstücke. „In der türkischen Literatur kenne ich mich überhaupt nicht aus“, bekennt Feridun. Aber die türkische Lyrik liebe er. Ganze Plastiktüten voll mit türkischen Gedichten habe er aus der Türkei mit nach Kiel gebracht: „Was für eine Sprache, Alter!“ Die Verfasser vermag er nicht zu benennen. Warum auch. Was zählt, ist die Wortkunst.

Für sein neuestes Buch „Liebesbrand“, das bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, wurde er in diesem Jahr mit der CORINE ausgezeichnet und für den Deutschen Buchpreis nominiert. In „Liebesbrand“ geht Feridun von Ereignissen aus, die ihm passiert sind, Orten, an denen er gewesen, und Menschen, denen er begegnet ist, und beginnt zu fabulieren. So wächst um reale Bruchstücke herum die fi ktive Geschichte des Ich-Erzählers David. Feridun spinnt ein Busunglück, in das er bei einem Türkeibesuch mit seiner Mutter tatsächlich geraten ist, literarisch aus. An dem brennenden Bus legt er die Fäden aus, die er zu Liebesbanden strickt und denen er seinen Erzähler leidenschaftlich folgend über Kiel, Nienburg, Prag und Wien ans Ende der Geschichte führt, die zugleich ein Anfang ist. Auch der beste Freund des Ich-Erzählers, Gabriel, hat ein lebendes Vorbild. Es ist Günter Senkel, im Leben diesseits der Buchseiten ebenfalls Feriduns bester Freund, mit dem gemeinsam er zahlreiche Bühnenarbeiten verfasst hat und Tür an Tür wohnt. „Ich habe Günter gefragt, ob ich ihn in meinem Roman vorkommen lassen dürfe oder ob er etwas dagegen hätte, und er hat nur geantwortet, na, das wurde ja auch mal Zeit“, erzählt Feridun. Offenbar ist ihm die Schilderung des Freundes so gut gelungen, dass selbst dessen Mutter sich danach erkundigte, ob er denn wirklich eine amouröse Verwicklung mit einer schönen Südländerin gehabt habe. Hatte er nicht, leider. Das Wesen des Romans bleibt eben die Fiktion.

Eine solche Fiktion ist in meinen Augen auch der Feuilleton- Türke Feridun Zaimolu, den zum Länderschwerpunkt „Türkei“ zu befragen ich losgezogen bin. Für mich ist Feridun in erster Linie ein ernstzunehmender Schriftsteller, der seine Texte immer noch auf der elektrischen Schreibmaschine verfasst, der keinen Computer besitzt und keine E-Mail-Adresse, dafür aber Gartenzwerge sammelt und Pulverkaffee trinkt, weil der sich länger hält. Ein Vorteil für Menschen, die viel Zeit auf Lesereisen verbringen. Feridun kann vom Schreiben leben, und vor allem kann er noch über sich selbst lachen. Das war für mich die wichtigste Erkenntnis meines Besuchs bei ihm – türkisch hin, deutsch her.

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