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Fotos: Fotos: André Köhler; privat; Malerei: Wolfgang Herrndorf/Rowohlt

Literaturhäuser stellen sich vor: Berlin

Geschichte(n) erleben

Von Deutschlands ältestem Literaturhaus als lebendigem Ort der Begegnung, das trotz armseliger Kulturpolitik mit reichem Lesung- und Ausstellungsprogramm sein Publikum begeistert, berichtet Literaturhausleiter Ernest Wichner in BÜCHERMagazin 5/15.

Bis Anfang September 2015 kann man im Literaturhaus Berlin das höchst erstaunliche malerische Werk des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf besichtigen. Herrndorf, 1965 in Hamburg geboren und 2013 in Berlin gestorben, war 2010 mit seinen Roman »Tschick« plötzlich berühmt geworden. Zu seinem 50. Geburtstag hat der Verlag Rowohlt Berlin soeben eine dreibändige Werkausgabe publiziert. Im Literaturhaus Berlin sieht man Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen und den wunderbaren Helmut Kohl-Kalender, den die Satirezeitschrift Titanic 1998 publiziert hatte: zwölf Porträts des Pfälzers in der Manier eines Sieneser Meisters, nach Lucas Cranach d.Ä., Caspar David Friedrich und bis hin zu Edward Hopper oder, kopfunter, Georg Baselitz, allesamt perfekt gemalt und in einem spaßig-klugen Nachwort kommentiert von Wolfgang Herrndorf.

Nicht allein wegen solcher Ausstellungen oder der etwa einhundertzwanzig Veranstaltungen im Jahr wird das Haus Fasanenstraße 23, das im Juli 1986 als erstes Literaturhaus Deutschlands eröffnet wurde, von den Berlinern und ihren Gästen häufig und gerne besucht. Das Café-Restaurant Wintergarten, das in den wärmeren Jahreszeiten auch den schönen Garten bespielt, sowie die bestens sortierte Buchhandlung Kohlhaas & Company machen zusammen mit dem literarischen Veranstaltungsort in den oberen Etagen des Hauses erst das aus, was ein komplettes Literaturhaus ist: Ein Ort, an dem ein literarisch interessiertes Publikum deutsche und internationale Gegenwartsliteratur und deren Autoren kennenlernen kann, an dem man deren Bücher erwerben und sich anschließend bei Kaffee, Bier oder Wein über das Gehörte, Gelesene oder soeben in einer Ausstellung des Hauses Gesehene unterhalten kann.

Ursprünglich vom Land Berlin finanziell getragen, ist das Literaturhaus Berlin und sein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm aus Lesungen, Vorträgen, Gesprächsreihen und eben auch Ausstellungen und literarischen Führungen ohne einen gehörigen Anteil eingeworbener Gelder gar nicht mehr vorstellbar. Denn die Stadt, die sich vor etlichen Jahren schon so kokett wie verantwortungslos für arm aber sexy erklärt hatte, kommt ihren kulturellen Verpflichtungen auf dem Gebiet der Literatur schon lange nicht mehr nach. Gerne würden wir den Autoren, die bei uns auftreten und ihr Publikum begeistern, bessere Honorare bezahlen, ebenso den Übersetzern und Moderatoren, die wir beschäftigen. Aber wenn eine Kommune es nicht für nötig befindet, über 17 Jahre hinweg auch nur den Inflationsausgleich ihren literarischen Einrichtungen zukommen zu lassen, dann gibt sie dadurch zu erkennen, dass ihr das Schicksal solcher Einrichtungen im Grunde egal ist - und Berlin hat neben dem Literaturhaus Berlin auch noch das am Wannsee gelegene Literarische Colloquium und am Prenzlauer Berg die Literaturwerkstatt.

Das wunderbar gestaltete Buch »Fasanenstraße 23«, 2014 schon in dritter Auflage erschienen, erzählt die abenteuerliche Geschichte des Hauses, versammelt Texte von Autoren aus der ganzen Welt, in denen dieses Haus mittlerweile vorkommt und informiert über Autoren der Literaturgeschichte, die in fußläufiger Distanz zu diesem Haus gewohnt und gearbeitet haben. Vladimir Nabokov jedenfalls hat am 13. November 1927 in diesem Hause – noch unter dem Namen V. Sirin – aus seinen russischen Gedichten vorgelesen. Oskar Loerke und Paul Zech, Ina Seidel und Günter Eich frequentierten das Haus in den Anfang dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zum Ende des Jahrhunderts waren es dann Imre Kertész, Herta Müller, Péter Esterházy, Andrei Bitow, H. C. Artmann, Oskar Pastior und viele, viele wunderbare Schriftsteller und Dichter mehr.                                        

Infos zu Programm & Lesungen unter: 
literaturhaus-berlin.de

Ernest Wichner leitet das Literaturhaus Berlin seit 2003. Er hat Gedichtbände, Prosa, Literaturkritik sowie zahlreiche Übersetzungen vor allem aus dem Rumänischen veröffentlicht. Mit seiner Übersetzung von Varujan Vosganians Buch des Flüsterns war er 2014 auf der Shortlist für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse.

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