Literaturhäuser stellen sich vor: Zürich
Kulturelle Neugier wecken
Klassische Lesungen und die Zusammenarbeit mit anderen Kulturhäusern. Wie das Literaturhaus Zürich neue Denkräume eröffnet, beschreibt die Literaturhausleiterin Gesa Schneider in BÜCHERmagazin 4/2015.
Das Literaturhaus Zürich befindet sich mitten in der Altstadt von Zürich, man sieht den Fluss und die Berge, vor der Tür hält die Straßenbahn, gegenüber liegt die Polizeistation, mit der es sich den Strom teilt. 1834 entstand hier die „Museumsgesellschaft“ – eine private Lesegesellschaft, die zum Zweck der „Bildung und Erbauung“ ihren Mitgliedern Bücher und Zeitschriften bereitstellte. Ihr gehört das Haus. In der Bibliothek und im denkmalgeschützten Lesesaal lasen auch Lenin und Joyce; die Legende sagt, James Joyce habe hier an „Ulysses“ geschrieben. An diesem Ort hat sich 1999 das Literaturhaus eingenistet, es teilt sich die Räume mit der Museumsgesellschaft: Tagsüber lernen und lesen Studierende und Mitglieder, abends finden Lesungen statt. Das funktioniert sehr gut, findet Mirjam Schreiber, Leiterin der Bibliothek: „Literaturhaus und Bibliothek, insbesondere eine, die wie wir auf Belletristik spezialisiert ist, ergänzen sich wunderbar.“
Es sei doch toll, eine Autorin zu einer Lesung einzuladen und gleichzeitig alle ihre Bücher im Haus ausleihen zu können. Oder am Nachmittag die „Libération“ oder den „New Yorker“ zu lesen. Teju Cole, ein Autor, der regelmäßig im „New Yorker“ schreibt, wurde als Writer in Residence nach Zürich eingeladen. Ein Highlight für Miriam Hefti, Mitarbeiterin im Literaturhaus: „Teju Cole hat für ein halbes Jahr Zürich und die Schweiz kritisch erkundet und vor die Linse genommen. Seine Weltläufigkeit, sein Scharfsinn und sein Humor waren eine große Bereicherung für uns.“ Isabelle Vonlanthen, zusammen mit mir zuständig für das Programm, ergänzt mit ihren persönlichen Highlights: „Georgi Gospodinov und Katja Petrowskaja beeindruckten mich durch ihre Präsenz und ihren Reflexionsgrad bei den Lesungen; und vor allem auch durch Humor und Widerspruch da, wo die Moderatoren sie in interpretatorische Schubladen verorten wollten.“
Erwähnenswert sind außerdem das Open-Air-Literatur-Festival im Alten Botanischen Garten (in Kooperation mit „Kaufleuten“, einem wichtigen Veranstalter in Zürich. Dieses Jahr findet es vom 6. bis zum 12.7 statt); Ralf König zeigte im „Lunchkino“ seinen Lieblingsfilm und Anne Weber erläuterte in der Tonhalle die Verbindungen zwischen Mozart und Goethe. Neu ist der „Denkraum“: Das Literaturhaus Zürich bietet für jeweils zwei bis drei Monate ein Schreibzimmer für essayistisches Schreiben an. Die Vielseitigkeit des Programms kommt gut an: Die Besucherzahl stieg im letzten Jahr signifikativ an.
Auch in Zukunft sollen Austausch, das Öffnen von Räumen und der Sprung über Grenzen eine wichtige Rolle spielen, ob bei Debüt-Abenden, Lesungen, Diskussionen, Kooperationen außer Haus oder in unserer neuen Reihe „Unruhe über Mittag“, die ein aktuelles Thema aufgreift. So diskutierten wir im Januar mit Daniel Schreiber über sein Buch „Nüchtern“, und im März fragte die Philosophin Susan Neiman, warum wir (nicht) erwachsen werden wollen. Kulturelle Neugier zu wecken ist ein Anspruch des Literaturhauses. So wird es anregend, nicht nur für Leute, die Bücher lesen.
Dr. Gesa Schneider ist seit Ende 2013 Leiterin des Literaturhauses Zürich. Nach ihrer Promotion über Kafka und Fotografie war sie von 2006 bis 2013 Projektleiterin bei Heller Enterprises; in dieser Funktion war sie zuständig für Inhalte und Umsetzung von großen Kulturprojekten und Ausstellungen. Parallel dazu war sie Dozentin für Bildtheorie an der F+F Zürich – Schule für Kunst und Mediendesign.